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Bürgergeld Urteil: Untätigkeitsklage gegen Jobcenter ohne Ankündigung

Bundesverfassungsgericht Gebäude

Ist das Jobcenter zu langsam und versäumt Bearbeitungsfristen, so müssen sich Bürgergeld-Bedürftige nicht erneut an den Leistungsträger wenden und können stattdessen ohne Ankündigung Untätigkeitsklage erheben. Dieses Vorgehen verletzt auch nicht die Schadensminderungspflicht.

Sachverhalt

Im konkreten Fall bezog eine Mutter und ihre beiden Kinder im Zeitraum November 2020 bis April 2021 Hartz IV (das heutige Bürgergeld). Bei der Berechnung des Anspruchs legte das Jobcenter ein zu hohes Erwerbseinkommen zugrunde mit der Folge, dass der berechnete Anspruch zu niedrig ausfiel. Das wollte die Leistungsempfängerin nicht hinnehmen und erhob über ihren Anwalt Widerspruch gegen den fehlerhaften Bewilligungsbescheid – mit Erfolg. Das Jobcenter erließ einen korrigierten Bescheid. Soweit so gut.

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Anschließend beantragte der Anwalt im Auftrag der Leistungsempfängerin Kostenfestsetzung über sein Honorar für das außergerichtliche Widerspruchsverfahren, doch das Jobcenter rührte sich nicht. Sechs Monate lang passierte nichts, so dass die Leistungsempfängerin sich gezwungen sah, Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Darmstadt zu erheben. Das zeigte Wirkung und das Jobcenter erstattete das Anwaltshonorar für das vorangegangene Widerspruchsverfahren.

Mit einer Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) können Bürgergeld Bedürftige die Entscheidung des Jobcenters erzwingen, wenn Anträge nicht fristgerecht bearbeitet werden.

Keine Kostenübernahme für Untätigkeitsklage

Den Antrag auf Kostenübernahme für die Untätigkeitsklage lehnte das Sozialgericht jedoch ab. Als Begründung führte das Gericht an, die Klage sei mutwillig gewesen, die Leistungsempfängerin sei ihrer Schadenminderungspflicht nicht nachgekommen und hätte das Jobcenter vorab kontaktieren sollen.

Bundesverfassungsgericht gibt Klägerin Recht

Schließlich wandte sich die Leistungsempfängerin an das Bundesverfassungsgericht, weil sie die Ablehnung der Kostenentscheidung durch das Sozialgericht Darmstadt nicht akzeptieren wollte. Sie reichte eine Verfassungsbeschwerde ein, um die Entscheidung des Sozialgerichts anzufechten.

Zu Recht hob das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung der Vorinstanz auf. Es stellte fest, dass weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik des Sozialgesetzbuches eine Pflicht zur Nachfrage beim Jobcenter vor Erhebung einer Untätigkeitsklage hervorgeht. Das Gericht betonte, dass Bürger nach Ablauf der gesetzlichen Wartefrist eine Untätigkeitsklage erheben können, ohne gegen den Grundsatz von Treu und Glauben zu verstoßen.

Kurzum: Man muss weder beim Jobcenter nachfragen noch muss man eine Untätigkeitsklage ankündigen oder mit ihr drohen. Ist die Bearbeitungsfrist für einen Antrag abgelaufen, haben Bürgergeld Bedürftige sofort die Möglichkeit der Klageeinreichung.

Das Bundesverfassungsgericht verwies den Fall zur erneuten Entscheidung über die Kostenfestsetzung der Untätigkeitsklage an das Sozialgericht Darmstadt zurück. Das Land Hessen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Verfahrensgang:
08.02.2023 – Bundesverfassungsgericht – Az. 1 BvR 311/22
29.12.2021 – Sozialgericht Darmstadt – Az. S 16 AS 333/21

Titelbild: Hadrian / shutterstock