Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechte von Empfängern von Hartz IV Leistungen in ihren existentiellen Grundrechten gestärkt. Dabei ging es um den Rechtsschutz bei der Kürzung der Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung.
Nach der Entscheidung der Verfassungsrichter müssen Sozialgerichte künftig bei einer Kürzung der Kosten für Unterkunft und Heizung prüfen, welche negativen Folgen diese Sanktionen für betroffene Hartz IV Leistungsempfänger hat. Dabei muss die Prüfung individuell für jeden Betroffenen erfolgen.
Im vorliegenden Streitfall wurden einem Arbeitslosen die Leistungen für die Wohnung vom Jobcenter gekürzt, da der Leistungsträger davon ausging, dass der Hartz IV Empfänger mit einer weiteren Person zusammenlebt und eine Bedarfsgemeinschaft bildet. Der Mann klagte auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung gem. § 22 Abs. 1 SGB II und stellte gleichzeitig einen Eilantrag, damit die Kürzung der Unterkunftskosten bis zum Abschluss des Verfahrens ausgesetzt wird. Der Eilantrag wurde vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen jedoch verneint. Die Begründung der Essener Sozialrichter: Es sei noch keine Räumungsklage eingereicht worden, daher sei keine Eile geboten.
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Bundesverfassungsgericht: Keine schematische Beurteilung
Der Entscheidung der Vorinstanzen konnte sich das Bundesverfassungsgericht nicht anschließen und entschied, dass eine Prüfung der Sozialgerichte über eine mögliche Eilbedürftigkeit nicht schematisch und pauschal erfolgen und von einer Räumungsklage abhängig gemacht werden darf – also im schlimmsten Fall, wenn bereits die Obdachlosigkeit drohe. Schließlich sei die Wohnung ein elementarer Bestandteil des sozialen Existenzminimums, so das Gericht.
Die Verfassungsrichter wiesen darauf hin, dass die individuelle Gesamtsituation des Hartz IV Betroffenen Einfluss auf die Entscheidung haben muss. Dabei sei zu berücksichtigen negativen, welche sozialen, finanziellen und sogar gesundheitliche Konsequenzen aus dem Verlust der gewählten Wohnung resultieren könnten.
Sozialgerichte sollen Anforderungen nicht „überspannen“
Weiter heißt es in der Entscheidung, dass die Sozialgerichte die Anforderungen an die Gründe des Hartz IV Betroffenen, mit denen er seine Notlage glaubhaft darlegen müssen, nicht „überspannen“ sollen. So dürfen die Gerichte nicht auf einen fixen Zeitpunkt abstellen, zu dem bereits eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Betroffenen eingetreten sei. Diese würde beispielsweise vorliegen, wenn das Mietverhältnis bereits gekündigt oder gar die Räumungsklage eingereicht wirden sei.
Im aktuellen Fall wollte das Sozialgericht eben diese Räumungsklage abwarten bzw. sah erst beim Eintreten die Eilbedürftigkeit. Ist diese jedoch bereits eingereicht, droht allerdings möglicherweise ein nicht mehr abwendbarer Verlust der Wohnung und damit die Obdachlosigkeit.
Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts
Beschluss vom 01.08.2017 – Az.: 1 BvR 1910/12