Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche haben Anspruch auf Lernförderung durch das Jobcenter. Denn das Ziel solcher Maßnahmen ist nicht vorrangig, die Versetzung zu gewährleisten, sondern vielmehr die Chancengleichheit für Kinder aus Hartz IV Familien. Das geht aus einem Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts hervor (Aktenzeichen B 4 AS 19/17 R).
Jobcenter in der Pflicht
Ins Rollen gebracht hatte den Fall ein Schüler aus Bad Segeberg. Bei ihm wurde 2011 in der dritten Klasse eine Lese-Rechtschreib-Schwäche festgestellt. Die Schule und ein Arzt betonten, dass eine Förderung zwingend nötig sei. Der Junge besuchte daraufhin Kurse in der Volkshochschule. Die Kursgebühren: zwischen 56 und 89 Euro pro Monat. Zu viel für die Mutter, die zu der Zeit Arbeitslosengeld bezog. Sie beantragte 2012 die Kostenübernahme. Das Jobcenter weigerte sich.
Begründet wurde die Ablehnung damit, dass eine Förderung nur auf kurzfristiger Basis vorgesehen sei, insbesondere im Hinblick auf die Versetzung. Die war bei dem Jungen aber niemals in Gefahr. Denn der Legastheniker hatte durchweg gute Noten, da in Fällen wie diesen die Rechtschreibung aufgrund eines Erlasses nicht in die Benotung einfließen darf.
Lernförderung ist keine Nachhilfe
Das Bundessozialgericht widersprach jetzt der Einschätzung des Jobcenters. Angesichts der Lese-Rechtschreib-Schwäche dürfe man nicht von den Maßstäben für eine normale Nachhilfe und damit kurz greifenden Maßnahmen ausgehen. Das Ziel einer Lernförderung sei komplexer und müsse sich an der Forderung des Bundesverfassungsgerichtes nach Chancengleichheit orientieren. Hier stünden nicht die Schulergebnisse im Vordergrund, sondern der „Erwerb der Kulturtechniken Lesen und Schreiben“.
Der Fall geht jetzt zurück an das Landessozialgericht (LSG) Schleswig-Holstein. Es muss laut Bundessozialgericht die Lese-Rechtschreib-Schwäche des Schülers näher beurteilen und anhand aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse prüfen, welcher Unterricht im konkreten Fall geeignet ist. Der Einschätzung des LSG, dass die Leistungen im Rahmen der Lernförderung für eine längere Zeit zu gewähren sind, stimmte das Bundessozialgericht indes zu. Dabei sind auch die Jobcenter in der Pflicht. Sie müssen sich intensiver damit befassen, welche Förderung angemessen ist.
Bundessozialgericht – Az: B 4 AS 19/17 R vom 25.04.2018
Sozialgericht Lübeck – S 40 AS 785/12
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht – L 3 AS 195/13