Die Pflege von Angehörigen ist emotional und körperlich stark kräftezehrend. Zudem ist die Vereinbarkeit von Pflege und Arbeit nicht immer einfach. Eine Frau aus Landkreis Osterholz musste sogar ihren Job aufgeben, um die Pflege der schwerkranken Mutter leisten zu können. Folglich war sie auf Hartz IV angewiesen. Das zuständige Jobcenter beurteilte ihr Handeln jedoch als sozialwidrig und forderte eine Rückzahlung – doch das LSG Niedersachsen-Bremen stellt sich auf Seite der Klägerin.
Jobcenter beschuldigt Frau wegen „grob fahrlässigen“ Verhaltens
Eine 38-jährige Frau aus Landkreis Osterholz besetzte eine Vollzeitstelle als Hallenaufsicht beim Bremer Flughafen und teilte sich den Haushalt mit ihrer schwerbehinderten und pflegebedürftigen Mutter. Leider verschlechterte sich der Zustand der Mutter rapide, wodurch der Tochter lediglich die Arbeitsaufgabe blieb. Sie schloss mit ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag, weswegen Sie zunächst auf Hartz IV angewiesen war.
Das Jobcenter beschuldigte die Frau jedoch sozialwidrig gehandelt zu haben: Sie hätte von vornherein gewusst, dass sie im Schichtdienst arbeiten müsse und ein Umzug auf Grund der Pflegebedürftigkeit der Mutter unmöglich sei. Zudem könnte bei Pflegestufe II ein Pflegedienst die Pflege der Mutter übernehmen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei folglich nicht notwendig gewesen und die Hilfebedürftigkeit selbst herbeigeführt. Durch ihr „grob fahrlässiges“ Verhalten sei eine Rückzahlung von Hartz IV Leistungen gerechtfertigt.
LSG: Schichtarbeit bei täglicher Pflege unzumutbar
Mit der Rückforderung des Jobcenters ging die Frau vor Gericht. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen urteilte, dass die Umstände des Einzelfalls hier entscheidend seien. Grundsätzliche ist jede Arbeit zumutbar, wenn die Pflege durch einen Pflegedienst übernommen werden würde. Zwar sei bei Pflegestufe II eine tägliche Arbeitszeit von bis zu sechs Stunden zumutbar, doch das Arbeitsmodell der Klägerin nicht mit der Pflege der Mutter vereinbar.
Die Schichtarbeit mit variablen Zeiten und kurzfristiger Einteilung ist für die betroffene Frau mit der dreimal täglich notwendigen Pflege der Mutter unzumutbar. Außerdem berücksichtige das Gericht das Selbstbestimmungsrecht der Mutter. Ihr stand es zu den regulären Pflegedienst abzulehnen und ihre eigene Tochter als Pflegerin zu bevorzugen. Weiterhin sprach das Gericht der Tochter das Austesten der Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege zu und lehnte die Rückzahlungsforderung des Jobcenters entschieden ab (LSG Niedersachsen-Bremen, 12. Dezember 2018, Az.: L 13 AS 162/17).
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