Jahrelang in das Sozialsystem einzahlen, um dann doch bei Hartz IV zu landen: Für immer mehr Menschen ist das traurige Realität. Eine Anfrage der Linken bestätigt dieses Bild für neun Prozent aller, die Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben. Hinzu gesellen sich weit über 580.000 Rentnerinnen und Rentner. Sie alle haben ihren Beitrag geleistet, im wahrsten Sinne des Wortes, und leben jetzt am Rande des Existenzminimums.
Inhaltsverzeichnis
Pflichtversicherungen ohne Schutzfunktion
Die Abzüge auf der Lohnabrechnung für die Renten- und die Arbeitslosenversicherung sind ärgerlich, werden gemeinhin aber akzeptiert. Schließlich erhofft man sich, im Fall der Fälle weich zu landen oder im Alter gut versorgt zu sein. Doch Pustekuchen. Viele zahlen ein, um dann lediglich Hartz IV und damit die Grundsicherung zu erhalten. Das gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, insbesondere in prekären Arbeitsverhältnissen, eben wie für Rentnerinnen und Rentner.
Beitragssätze 2022
Gesamt | Arbeitnehmer | Arbeitgeber | |
Arbeitslosenversicherung | 2,4% | 1,2% | 1,2% |
Rentenversicherung | 18,6 % | 9,3% | 9,3% |
Das Arbeitslosengeld I
Wer seinen Job verliert und innerhalb der vergangenen zwei Jahre mindestens zwölf Monate lang versicherungspflichtig beschäftigt war, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld I. In der Regel wird diese im SGB III verankerte Leistung maximal ein Jahr lang gezahlt. In Ausnahmefällen gelten bei älteren Arbeitnehmern längere Bezugszeiten.
Wie hoch ist das ALG I?
Berechnungsgrundlage ist das Brutto-Arbeitsentgelt der zurückliegenden zwölf Monate. Davon werden 60 Prozent als Arbeitslosengeld I gewährt. 67 Prozent gibt es, wenn man selbst oder der Ehe-/Lebenspartner ein Kind oder mehrere Kinder hat.
Beispielrechnungen
Bei einem Bruttoeinkommen von 1.000 Euro pro Monat (32,88 Euro am Tag) ergibt sich ein ALG I von kalendertäglich 15,78 Euro oder 473,40 Euro monatlich. Bei 1.500 Euro brutto wären es 680,70 Euro und mit 2.000 Euro brutto monatlich 855,30 Euro. Die Daten beziehen sich auf Berechtigte ohne Kind und wurden mit dem Rechner der Bundesagentur für Arbeit ermittelt. https://www.pub.arbeitsagentur.de/start.html
Wenn das ALG I nicht reicht
Das Problem: die prekären Arbeitsverhältnisse. Man verdient vielleicht gerade so viel, dass es zum Leben reicht. Doch wenn die Kündigung kommt und nur noch 60 bzw. 67 Prozent gezahlt werden, rutscht man schnell unter den Hartz IV Satz. Dann muss das ALG I mit dem ALG II aufgestockt werden.
84.000 Betroffene
Das trifft laut Antwort der Bundesagentur für Arbeit auf eine Anfrage der Linken aktuell auf etwa 84.000 Betroffene zu. Sie haben Anspruch auf das Arbeitslosengeld I und sind zusätzlich auf Hartz IV angewiesen. Ausgehend von 770.000 Personen, die im Jahresschnitt ALG I erhalten, entspricht das einem Anteil von immerhin 9 Prozent.
Nachbesserungsbedarf im Sozialsystem
Jessica Tatti von „Die Linke“ erklärte gegenüber der „Rheinischen Post“: „Wenn neun Prozent aller Menschen zusätzlich zum Arbeitslosengeld Hartz IV brauchen, läuft etwas gewaltig schief.“ Da würden sich viele fragen, „warum sie überhaupt Beiträge an die Arbeitslosenversicherung abführen“. Es bestehe dringender Nachbesserungsbedarf im Sozialsystem.
Grundsicherung im Alter
Das gilt für alle Ebenen des Systems. Denn es gibt nicht nur jene, die beim ALG I aufstocken müssen. Auch Arbeitnehmer, deren Lohn schlichtweg zu gering ist, um das Existenzminimum zu gewährleisten, oder Rentner, deren Altersbezüge nicht ausreichen, sind auf Hartz IV angewiesen.
588.780-mal Grundsicherung im Alter
Allein bei den altersbedingten Rentnerinnen und Rentnern sind es 588.780, die auf Grundsicherung im Alter oder schlichtweg Hartz IV angewiesen sind. Angesichts von 25,8 Millionen Renten, beträgt der Anteil immerhin 2,28 Prozent.
Geld unters Kopfkissen legen
Sowohl die ALG I Betroffenen als auch die Senioren, die Hartz IV beantragen müssen, hätten die Beiträge für die Sozialversicherung rein theoretisch auch unters Kopfkissen legen können. Denn über das Niveau von Hartz IV kommen sie nicht hinaus. Und dafür hätten sie nicht einmal Geld einzahlen müssen.
Lohnt sich sozialversicherungspflichtige Arbeit noch?
Angesichts dieser Daten, ist der Hinweis der Linken zu den Zweifeln, warum man überhaupt noch in die Sozialkassen zahlen soll, absolut berechtigt. Und es drängt sich eine weitere Frage auf: Lohnt sich Arbeit noch? Da darf man sich nicht wundern, wenn die Schwarzarbeit einen Schaden von fast 790 Millionen Euro verursacht.
Hilft das Bürgergeld?
Ob das Bürgergeld auch diese Probleme aufgreift, wird sich zeigen. Da der Gesetzentwurf schon im Sommer – also in wenigen Wochen – auf dem Tisch liegen soll, kann man nur hoffen, dass die Grundlagen nicht mit heißer Nadel gestrickt wurden, nur um etwas präsentieren zu können, sondern endlich dem „echten Leben“ entsprechen.
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