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Hartz IV Hinzuverdienst: Jobcenter rechnet Benzingeld Erstattung als Einkommen

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Benzingeld darf vom Jobcenter als Einkommen auf Hartz IV Leistungen angerechnet werden. Oder vielleicht doch nicht? Selbst die Gerichte in Deutschland sind sich diesbezüglich nicht einig. Bestes Beispiel dafür ist der Fall von Juli G., auf den der Focus aufmerksam macht. Das Sozialgericht Lünen wertet ihr Kilometergeld nicht als Einkommen. Das Jobcenter kürzt trotzdem die Zahlungen und beruft sich dabei auf ein Urteil des Bundessozialgerichts. Es ist also kompliziert.

Der vorliegende Fall

Die 56-Jährige ist nach einem Unfall nicht mehr in der Lage, Vollzeit zu arbeiten. Daher fährt sie Zeitungen aus, um nicht nur auf den Staat angewiesen zu sein. Der Verlag zahlt ihr 9,35 Euro die Stunde und je gefahrenem Kilometer, der exakt per GPS erfasst wird, 0,24 Euro. Denn die Frau nutzt ihr eigenes Auto. Ist sie krank und fährt nicht, gibt es auch kein Benzingeld.

Fahrgeld wird angerechnet

Das Benzingeld, knapp 2,88 Euro am Tag (80 Euro im Monat), wertet das Jobcenter als Einkommen. Dadurch verringert sich der Hartz IV Anspruch der 56-Jährigen. Da sie von den 24 Cent je Kilometer nur 20 Prozent behalten darf, bleiben ihr 5 Cent – nicht gerade viel angesichts der hohen Benzinpreise. Dagegen klagte die Frau.

Regulärer Anteil des Einkommens

Das Jobcenter argumentiert damit, dass es sich beim Benzingeld um einen regulären Anteil des Erwerbseinkommens handle, und spricht von einer gängigen Praxis. Das Sozialgericht Lünen wiederum (Aktenzeichen S 50 AS 17/21 ER vom 16. April 2021) erklärte, das Benzingeld sei kein Einkommen im Sinne von §11 SGB II.

Benzingeld ersetzt lediglich angefallene Kosten

Das Gericht begründete das Urteil damit, dass die Benzinkosten sich im vorliegenden Fall stets auf den Vormonat bezögen und lediglich die angefallenen Kosten ersetzten. Daher sei das Benzingeld keine Lohnzahlung, sondern ein Aufwendungsersatz. Ähnlich habe bereits 2016 das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Aktenzeichen L 34 AS 1901/13) entschieden.

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Jobcenter macht weiter wie bisher

Da das Urteil aus dem Eilverfahren sich nur auf einen bestimmten Zeitraum bezieht, macht das zuständige Jobcenter bei Juli G. inzwischen weiter wie bisher. Das Benzingeld wird als Einkommen auf die Hartz IV Leistungen angerechnet. Dadurch verliert die Frau viel Geld.

Urteil des Bundessozialgerichtes

Dabei bezieht sich das Jobcenter auf ein Urteil des Bundessozialgerichtes in einem ähnlich gelagerten Fall. Ein Mann stockte als Fahrer für einen Hilfs- und Wohlfahrtsverband mit Hartz IV auf. Die Fahrtkosten von 30 Cent je Kilometer wurden ebenfalls dem Einkommen zugerechnet.

Es muss ein Freibetrag gewährt werden

Während das Sozialgericht Chemnitz die Jobcenter-Praxis als rechtens ansah, gab das sächsische Landessozialgericht (Aktenzeichen: L 3 AS 535/18) dem Mann recht. Nach der Revision durch das Jobcenter landete der Fall vor dem Bundessozialgericht (Aktenzeichen B 14 AS 41/20 R vom 11. November 2021).

Dort erklärte man: „Es handelt sich bei dem Fahrkostenersatz um Einnahmen, die dem Leistungsberechtigten zumindest im sachlichen Zusammenhang mit der Beschäftigung zufließen.“

Allerdings müsse ein Freibetrag von 10 Cent je gefahrenem Kilometer gewährt werden. Bei höheren Aufwendungen könne der Absetzbetrag angepasst werden. Darüber muss nun wieder das sächsische Landessozialgericht entscheiden.

Aufstockung vom Jobcenter

Einzelfallentscheidung

Die 56-jährige Zeitungsbotin muss weiterhin warten. Das Hauptsacheverfahren ist noch nicht anberaumt worden, könnte aber auch ein völlig anderes Urteil hervorbringen als das Eilverfahren. Das Jobcenter ist diesbezüglich gelassen und sieht den Entscheid des Bundesverfassungsgerichtes als „bundesweit anwendbare Regelung“.

Titelbild: Creative Cat Studio