Eine schallende Ohrfeige für Hartz IV Bedürftige mit Wohneigentum: Anders kann man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss Az.: 1 BvL 12/20 vom 28.04.2022, welches heute veröffentlicht wurde, nicht umschreiben. In dem Verfahren ging es darum, ob die aktuelle Regelung, ab wann eine selbst genutzte Immobilie als angemessen gilt, verfassungswidrig ist. Nein, sagten die Richter, und betonten: Maßgeblich ist die Zahl der Bewohner. Ob man vorher mehr Platz für Kinder brauchte, sei unerheblich. Oder anders ausgedrückt: Ist das FAMILIEN-Haus zu groß, muss es verwertet werden.
Sozialgericht Aurich vermutete Gleichheitsverstoß
Den Anstoß für das Verfahren hatte das Sozialgericht Aurich (Az.: S 65 AS 460/18 vom 26.02.2020) gegeben. Dort vermutete man im vorliegenden Fall einen Gleichheitsverstoß und bat daher das Bundesverfassungsgericht zu prüfen, ob die aktuelle Regelung zum Schonvermögen verfassungsgemäß ist. Mit dem „Ja“ der Richter bleibt die Angst, die Wohnung oder Haus zu verlieren.
Der Fall
Ein Ehepaar hatte für sich und seine sechs Kinder ein Haus gebaut, welches sie 1997 bezogen. 143,69 Quadratmeter Wohnfläche standen den acht Personen zur Verfügung. Die Kinder sind inzwischen aus dem Haus ausgezogen, so dass das Ehepaar das Haus seit 2013 alleine bewohnte. Der Mann bezieht Rente. Die Frau beantragte 2018 Hartz IV. Der Antrag wurde mit Verweis auf das vorhandene Wohneigentum jedoch abgelehnt. Dagegen wehrte sich die Frau – vergebens.
Was ist angemessen?
Das Bundesverfassungsgericht folgte der Sicht des Jobcenters. Demnach seien laut einem Urteil des Bundessozialgerichtes (Aktenzeichen B 4 AS 4/16 R vom 12. Oktober 2016), 130 Quadratmeter für vier Personen die Obergrenze. Für jede Person weniger müssten 20 Quadratmeter abgezogen werden.
Im vorliegenden Fall heißt das: 90 Quadratmeter sind angemessen. Das Haus ist damit zu groß, um einen Anspruch auf Hartz IV zu haben.
Diskriminierende Wirkung
Das Sozialgericht Aurich sah in dieser Regelung und der gesetzlichen Grundlage (§ 12 Abs. 3 SGB II) eine diskriminierende Wirkung,
„in dem sie Eltern in ihrer aktuellen Lebenssituation nur deshalb schlechter stellten, weil sie in einer vorangegangenen Lebensphase Kinder betreut hätten“.
Begründet hat das Sozialgericht die Einschätzung damit, dass die Immobilie das Grundbedürfnis Wohnen erfülle und als Lebensmittelpunkt das „zentrale Element menschenwürdigen Daseins sei“. Dadurch, dass man sich beim Hartz IV Schonvermögen auf die Größe der Immobilie beschränke, werde der Lebensmittelpunkt nicht geschützt.
Kinderlose Paare bessergestellt
Konkret lautet der Vorwurf, dass „kinderlose Paare ein Haus mit 90 Quadratmetern Wohnfläche nicht verwerten müssten“. Auf der anderen Seite würden Eltern mit einer „im Kern vergleichbaren Wohnsituation“ gezwungen, ihr Eigentum zu verwerten – obwohl die Größe unabdingbar gewesen sei, um Kinder unterzubringen.
Zu großes Eigentum = kein Leistungsanspruch
Dieser Einschätzung folgten die Richter am Bundesverfassungsgericht nicht. Sie sehen in den gesetzlichen Rahmenbedingungen keine Ungleichbehandlung. Es liege vielmehr eine formale Gleichbehandlung vor. Denn grundsätzlich gelte:
Die Regelung verlange
„von einem Paar, das sein Wohneigentum zuvor mit Kindern bewohnt hat, genauso wie von einem Paar, das ohne Kinder in Wohneigentum gelebt hat, die Wohnfläche im Bedarfsfall auf die nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II angemessene Größe zu beschränken“.
Aktuelle Bewohnerzahl ist entscheidend
Damit gelte vor alle: „Die angemessene Größe richtet sich in allen Konstellationen ohne Unterschied allein nach der aktuellen Bewohnerzahl.“ Entscheidend ist das Wörtchen „aktuell“. Denn mit den sechs Kindern der Familie wäre das selbst genutzte Wohneigentum angemessen gewesen und als Schonvermögen nicht angerührt worden.
Angst vor Wohnungsverlust
Der Sozialverband VdK hatte sich ein anderes Urteil gewünscht. Denn viele, die Hartz IV beantragen, hätten Angst, die Wohnung oder das Haus verlassen zu müssen. Diese Angst bleibt jetzt. Ebenso die Regeln zum Schonvermögen, die der VdK als „völlig unrealistisch und zudem unwirtschaftlich“ bezeichnet.
PM 49/2022 des Bundesverfassungsgerichts vom 02.06.2022
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