Ärger statt Entlastung durch das 9-Euro-Ticket: Das gilt für den Fall, dass Kinder aus Hartz IV Haushalten Schülerfahrkarten nutzen. Die Kosten für diese Tickets werden vom Jobcenter mit übernommen. Das Problem: Durch das bundesweit gültige 9-Euro-Ticket vom 01. Juni 2022 bis 31.08.2022 verringert sich der reguläre Preis. Daraus ergibt sich in vielen Fällen eine Differenz zum Zahlbetrag, die vom Amt zurückgefordert werden kann – was auch so passieren wird, wenn man die Aussagen der einzelnen Bundesländer verfolg.
Die Abrechnung der Ticket-Kosten
Dabei ist es unerheblich, ob das Verkehrsunternehmen von Anfang an nur neun Euro für das Ticket aus dem Entlastungspaket abbucht oder den zu viel gezahlten Betrag nachträglich erstattet. Wurde das Ticket zum Normalpreis bewilligt, droht die Rückforderung.
Anderenfalls handle es sich um eine „ungerechtfertigte Bereicherung“, so das zuständige Ministerium in Baden-Württemberg. Die Rechtsgrundlage für diese Einschätzung bilden § 29 Abs. 5 SGB II für die Erbringung von Leistungen für Bildung und Teilhabe sowie § 34a Abs. 6 S. 2 SGB XII für Ersatzansprüche aufgrund von rechtswidrig erbrachter Leistungen.
1 Euro Hartz IV Rückforderungen kosten 3 Euro
Widerruf der Leistungsbewilligung
Die „Westfälische Allgemeine Zeitung“ hat diesbezüglich nachgehakt. Die Antwort des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg:
„Die Jobcenter werden […] entweder bereits für die Zeit ab Juni die Leistungsgewährung nach dem SGB II entsprechend anpassen oder im Nachgang die bisherige Leistungsbewilligung teilweise widerrufen.“
Ärmsten der Gesellschaft würden nicht vom 9-Euro-Ticket profitieren
Die Anrechnung des 9-Euro-Tickets bzw. eine mögliche Rückzahlung des Differenzbetrages ist deshalb so brisant, da Hartz IV Bedürftige – also die ärmsten Menschen im Land – nicht von dieser geplanten Entlastung profitieren würden. Stellt sich also heraus, dass sie den Differenzbetrag zum bereits verauslagten Schüler-Ticket an das Jobcenter zurückzahlen müssen, wäre dies unter dem Strich eine Nullrechnung, die noch zudem mit Aufwand und Ärger für die Betroffenen verbunden ist.
Der Verwaltungsaufwand der Jobcenter wäre auch mehr als sehr erheblich, da Beträge nicht pauschal zurückgefordert werden dürfen. Hier müsste also für jede einzelne Bedarfsgemeinschaft centgenau ausgerechnet werden, wie hoch der Rückzahlungsbetrag wäre – dann folgen die Verwaltungsakte mit der Bescheideerstellung und Versand. Sind die Rückforderungsbescheide bzw. Aufhebungsbescheide fehlerhaft, können diese mit dem Widerspruchsverfahren angefochten werden mit der Folge, dass Verwaltungsaufwand und -kosten weiter steigen und Personal in den Jobcentern weiter binden, die möglicherweise an anderen Stellen gebraucht werden.
Unterschiedliche Regelung in den Bundesländern
In Thüringen, Bayern und Niedersachsen geht man den gleichen Weg. Auch hier müssen sich Hartz IV Bedürftige darauf einstellen, dass sie Geld zurückzahlen müssen. Schließlich soll eine „ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber Nichtleistungsbezieher/innen vermieden werden“.
Entscheidend sei, betont man in Niedersachsen, die Verwaltungspraxis vor Ort. Dem Jobcenter stehe es demnach frei, ob die Hartz IV Familie den Betrag behalten dürfe oder erstatten müsse.
Keine Rückforderung in Schleswig-Holstein
Glück hat, wer in Schleswig-Holstein wohnt. Dort erhalten Hartz IV Bedürftige zwar einen Änderungsbescheid, da sich die Grundlagen durch das 9-Euro-Ticket geändert haben. Doch auf eine Rückforderung werde verzichtet. Hier beruft man sich auf § 40 Abs. 6 S. 3 SGB II. Demnach erfolge keine Rückforderung, weil es sich um Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket handle.
Flickenteppich bringt Unsicherheit
Der Argumentation aus Schleswig-Holstein folgen die beiden Bundesländer Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Hessen will sogar den Differenzbetrag erstatten, wenn das Ticket selbst gekauft worden sei. In Hamburg bleibt alles beim Alten. Hier werden die Kosten direkt von der Behörde für Schule und Berufsbildung getragen. Rheinland-Pfalz weiß noch nicht, wie man das Thema handhaben soll.
Ärgerlich: Die unterschiedlichen Regelungen sorgen für einen regelrechten Flickenteppich. Hinzu kommt, dass die Jobcenter entscheiden. Das bringt viel Unsicherheit. Hartz IV Bedürftige bleibt also nichts anderes übrig, als abzuwarten, ob eine Rückforderung ins Haus flattert.
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