Der Strompreis kennt seit Monaten nur eine Richtung: nach oben. Diese Entwicklung soll durch mehrere Entlastungspakete der Ampelkoalition aufgefangen und abgefedert werden. Sinnvoller wäre es, die Regelsätze für Hartz IV und das künftige Bürgergeld (Hartz V) entsprechend anzupassen. Denn eine einfache Berechnung anhand von Verbrauch und Strompreis zeigt: Hartz IV Bedürftige zahlen schon jetzt teils doppelt so viel für Strom, wie der Regelsatz hergibt.
Die Eckdaten
Um zu klären, ob der Strombedarf bei Hartz IV und dem Bürgergeld fair und realitätsnah berechnet wurde, sind mehrere Daten nötig. Die Grundlage bildet der Anteil am Regelsatz, den der Gesetzgeber für Strom vorsieht. Hinzu kommen der durchschnittliche Strompreis je Kilowattstunde (kWh) und der Durchschnittsverbrauch.
Stromanteil im Regelsatz
Der Hartz IV Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen beträgt aktuell 449 Euro. Davon entfällt auf Strom eine Pauschale von 8,11 Prozent. Das sind 36,42 Euro pro Monat und 437,04 Euro pro Jahr. Beim geplanten Bürgergeld steigt der Regelsatz auf 502 Euro. Ausgehend davon, dass der Stromanteil weitgehend gleich bleibt, stehen Hartz V Bedürftigen ab 2023 monatlich dann 40,74 Euro monatlich für Strom zur Verfügung (488,88 Euro).
Mehrbedarf für Warmwasseraufbereitung
Wird das Wasser nicht zentral über die Heizung aufgewärmt, sondern über einen Durchlauferhitzer oder Boiler (was nach wie vor für fast jeden fünften Haushalt gilt), greift auf Antrag ein Mehrbedarf für die Warmwasserbereitung. Dass Hartz IV Bedürftige davon besonders oft betroffen sind, liegt schlicht daran, dass sich moderner oder (energetisch) sanierter Wohnraum wegen der nach wie vor sehr knapp bemessenen Angemessenheitsgrenzen nicht mit der Grundsicherung vereinbaren lässt. Oder anders ausgedrückt: Hartz IV Bedürftige wohnen eher in Alt- denn in Neubauten.
Gesetzlich geregelt wird der Mehrbedarf über § 21 Abs. 7 SGB II. Er beträgt bei einem erwachsenen Single 2,3 Prozent des Regelsatzes. Bei Hartz IV sind das 10,33 Euro pro Monat (123,96 Euro pro Jahr) und bei Hartz V ab 2023 11,55 Euro (138,60 Euro).
Durchschnittliche Verbrauch
Der durchschnittliche Stromverbrauch eines Ein-Personen-Haushalts in Deutschland wird mehrheitlich, so auch vom Statistischen Bundesamt, mit 1.500 Kilowattstunden pro Jahr angegeben. Das deckt sich mit den Werten, die große Vergleichsportale bei einem Strompreisvergleich veranschlagen. Für die Warmwasseraufbereitung geht man bei einem Single zusätzlich von 500 Kilowattstunden aus.
Strompreis
Etwas komplizierter ist die Datenlage beim durchschnittlichen Strompreis. Hier werden mehrere Werte genannt, die voneinander abweichen. Das liegt mitunter daran, dass ein unterschiedlich hoher Verbrauch zugrunde gelegt wird. Hier gilt: Je mehr Strom ein Kunde abnimmt, desto günstiger ist die Kilowattstunde.
Die Bundesnetzagentur geht im Monitoringbericht für 2021 von 2.500 bis 5.000 Kilowattstunden und einem Abnahmefall von 3.500 kWh pro Jahr aus. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW), dessen Zahlen oft zitiert werden, rechnet in seiner Strompreisanalyse für Juli 2022 ebenfalls mit 3.500 Kilowattstunden und kommt dennoch auf andere Werte. Verivox als Vergleichsportal wiederum rechnet mit 4.000 Kilowattstunden pro Jahr.
Für unsere Berechnungen greifen wir zunächst auf die Zahlen des BDEW zurück. Im ersten Halbjahr 2022 belief sich der durchschnittliche Strompreis für Haushalte demnach auf 37,14 Cent/ kWh. Im zweiten Halbjahr geht man von 37,30 Cent/kWh aus. Zum Vergleich: Verivox nennt für das Jahr 2022 einen Wert von 39,73 Cent/kWh. Das Portal energiemarie.de rechnet mit 51,85 Cent/kWh (Stand September 2022). Das entspricht etwa dem Wert, den auch der BDEW und Verivox für September 2022 nennen: 51,58 Cent/kWh.
Strompreis versus Regelsatz: die Rechnung
Aus dem Strompreis und dem Verbrauch ergeben sich die tatsächlichen jährlichen Kosten, die dann in Relation zum Anteil der Stromkosten im Regelsatz gesetzt werden.
Dass an dieser Stelle auch mit den Pauschalen für das Bürgergeld gerechnet wird, obwohl der Strompreis für das kommende Jahr noch in den Sternen steht (vermutlich aber nicht deutlich niedriger sein wird als im Moment), soll untermauern, dass trotz vorausschauender Berücksichtigung der Inflation die Stromkosten durch den Regelsatz nicht gedeckt sind.
Hartz IV | Bürgergeld | Hartz IV Warmwasser | Bürgergeld Warmwasser | |
Verbrauch | 1.500 kWh | 1.500 kWh | 500 kWh | 500 kWh |
Strompreis | 37,30 Cent/kWh | 37,30 Cent/kWh | 37,30 Cent/kWh | 37,30 Cent/kWh |
Kosten | 559,50 € | 559,50 € | 186,50 € | 186,50 € |
Regelsatz bzw. Mehrbedarf | 437,04 € | 488,88 € | 123,96 € | 138,60 € |
Fehlbetrag | 122,46 € | 70,62 € | 62,54 € | 47,90 € |
Das Ergebnis: erschreckend. Ausgehend von 37,3 Cent je Kilowattstunde gibt ein Hartz IV Bedürftiger im Jahr 122,46 Euro mehr für Strom aus als im Regelsatz vorgesehen ist. Das heißt, die Stromkosten liegen 28 Prozent höher als die Strompauschale. Selbst mit Hartz V sind es 14,4 Prozent (70,62 Euro).
Noch deutlicher wird die Diskrepanz bei der Warmwasseraufbereitung. Hier sind es knapp 50 Prozent, die Hartz IV Haushalte mit diesem Mehrbedarf mehr ausgeben müssen als der Staat ihnen zugesteht (35 Prozent beim Bürgergeld). Einem Single fehlen für Strom und Warmwasseraufbereitung somit insgesamt 185 Euro im Jahr (118,52 Euro). Das sind 15,42 Euro im Monat (9,88), die an anderer Stelle gespart werden müssen – was dank steigender Lebensmittelpreise nahezu unmöglich ist.
Und: Weil immer mehr Haushalte die Stromkosten nicht mehr bezahlen können, steht ständig das Risiko einer Stromsperre im Raum. Denn noch gibt es keine eindeutige Erklärung dazu, dass angesichts der angespannten Lage auf Sperren oder die Androhung einer Stromsperre verzichtet wird.
Hartz IV wird mit dem Bürgergeld nicht überwunden
Berechnung mit dem aktuellen Strompreis
Nimmt man nicht den erwarteten Durchschnittspreis für das zweite Halbjahr 2022, sondern den aktuellen Strompreis, der deutlich höher liegt und auf Dauer wohl noch weiter steigen dürfte, zeichnen die Zahlen ein noch düsteres Bild.
Hartz IV | Bürgergeld | Hartz IV Warmwasser | Bürgergeld Warmwasser | |
Verbrauch | 1.500 kWh | 1.500 kWh | 500 kWh | 500 kWh |
Strompreis | 51,58 Cent/kWh | 51,58 Cent/kWh | 51,58 Cent/kWh | 51,58 Cent/kWh |
Kosten | 773,70 € | 773,70 € | 257,90 € | 257,90 € |
Regelsatz bzw. Mehrbedarf | 437,04 € | 488,88 € | 123,96 € | 138,60 € |
Fehlbetrag | 336,66 € | 284,82 € | 133,94 € | 119,30 € |
Die Unterdeckung bei Hartz IV steigt auf 336,66 Euro. Das sind 77 Prozent der Strompauschale im Hartz IV Regelsatz. Bezogen auf das Hartz V liegt der Wert immer noch bei 58 Prozent. Für die Warmwasseraufbereitung zahlen Haushalte sogar 108 Prozent – mehr als das Doppelte – mehr als vom Gesetzgeber für die Stromkosten berechnet (86 Prozent beim Bürgergeld).
Pauschalen sind fernab der Realität
Die Zahlen belegen, dass der Hartz IV Regelsatz und auch das Bürgergeld fernab der Realität berechnet wurden. Zugestanden werden Betroffenen jährlich 437,04 Euro für Strom. Bei 1.500 Kilowattstunden wären das 29,14 Cent/kWh. Das ist der Strompreis, den man 2014 bezahlt hat. Wir schreiben 2022, bald schon 2023. Abhilfe schaffen könnte der geplante Strompreisdeckel. Letztlich braucht es aber eine neue und faire Berechnung der Regelsätze.
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