Wie ein Streichholz: Die Bundesregierung ist bei der Debatte ums Bürgergeld eingeknickt. Sie buckelt vor der Union, um kurz vor Toresschluss doch noch einen Kompromiss auf den Weg bringen zu können. Einem Bericht der „Bild“ zufolge gibt hinsichtlich der Vertrauenszeit bereits einen gemeinsamen Nenner. Der weitgehende Verzicht auf Sanktionen entfällt. Damit wären Leistungskürzungen wieder ab dem ersten Tag möglich – trotz aller Studien zur Nutzlosigkeit der Maßnahmen.
Die Steine des Anstoßes
Zwei große Bretter müssen Ampel und Union bohren, damit Hartz V Realität werden kann. Dazu wurde geheim verhandelt. Diese Bemühungen scheinen jetzt Früchte getragen zu haben. Wie die „Bild“ berichtet, steht eine „zustimmungsfähige Lösung“ im Raum. Sie soll schon bald in Schriftform gegossen werden.
Sanktionen ab Tag 1
Für Hartz IV Bedürftige heißt das nach ersten Erkenntnissen: Ab dem Tag, an dem der Antrag auf Bürgergeld gestellt wird, haben Jobcenter die Möglichkeit, die Leistungen zu kürzen. Bisher sah die sechsmonatige Vertrauenszeit, mit Ausnahme von wiederholten Meldeversäumnissen, keine Sanktionen vor. Auf diese Vertrauenszeit will man nun verzichten.
Schonvermögen sinkt auf 40.000 Euro
Bisher war im Bürgergeld-Gesetzesentwurf in den ersten beiden Jahren der Karenzzeit ein Schonvermögen für Bürgergeld-Bedürftige von 60.000 Euro für die erste und 30.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft vorgesehen. Hier hat die Ampel-Regierung dem Druck der Union mächtig nachgegeben und die Karenzzeit auf ein Jahr gekürzt sowie das Schonvermögen auf 40.000 Euro für den Haushaltsvorstand der Bedarfsgemeinschaft sowie auf 15.000 Euro für jede weitere Person gekürzt.
Alle fühlen sich als Sieger
Als Sieger fühlen sich derweil alle beteiligten Parteien.
„Es bleibt im Wesentlichen bei Hartz IV, nur der Name ändert sich. Fördern und Fordern bleibt“,
erklärt die Union. Bei der SPD sieht man sich auf einem guten Weg.
„Wir glauben, dass das funktioniert in dieser Woche“,
sagte Generalsekretär Kevin Kühnert. Auch die Grünen sind optimistisch, ebenso die CSU. Deren Chef Markus Söder sprach von einem „gewissen Grundoptimismus“.
FDP geht Bürgergeld gegen den Strich
Besonders freuen dürfte sich die FDP. Sie hat offenbar das Gefühl, ihre Interessen werden innerhalb der Ampel nicht ausreichend berücksichtigt. FDP-Vize Wolfgang Kubicki zeterte:
„Wir als FDP verteidigen derzeit das Bürgergeld – obwohl mir das komplett gegen den Strich geht: Wir schaffen den Anreiz ab, voll arbeiten zu gehen, wenn wir beim Bürgergeld hohe Zuverdienstmöglichkeiten zulassen!“
Liberale fordern mehr Druck
Generell sieht es so aus, dass vor allem die FDP Druck macht, der Union bei Hartz V entgegenzukommen. Michael Theurer aus dem FDP-Präsidium forderte die Ampelpartner zu mehr Bewegung auf und betonte:
„Beim Bürgergeld muss die Balance zwischen Fördern und Fordern auch zukünftig gewahrt bleiben.“
Noch deutlicher wird Generalsekretär Bijan Djir-Sarai:
„Ich glaube, dass das Thema Vertrauenszeit so nicht stehen bleiben kann.“
Hier seien zwingend Veränderungen nötig.
Höherer Regelsatz bleibt
Lediglich beim Regelsatz – 502 Euro statt 449 Euro für einen Single – gibt es beim Hartz IV Nachfolger keinen Streit. Hier wären CDU/CSU sofort bereit gewesen, die neue Berechnung und die neue Grundsicherung mitzutragen.
Hartz 5 Regelsatz: 725 Euro Bürgergeld plus Übernahme der Stromkosten
Illoyal und vertragsbrüchig
Während die Parteien sich feiern, sind die Verlierer wieder mal die Hartz IV Bedürftigen. Daher stößt das, was jetzt passiert, ein Verschlimmbessern der vielfach als gut bewerteten Ansätze im Bürgergeld, insbesondere den Sozialverbänden bitter auf. Die Forderung der FDP nach mehr Sanktionen nennt Ulrich Schneider, Präsident des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, sowohl „illoyal“ und
„mit Blick auf den Koalitionsvertrag vertragsbrüchig“.