Der Vorwurf, Bedürftige würden beim Bürgergeld mit Samthandschuhen angefasst, war zuletzt omnipräsent. Dabei sah der Gesetzentwurf der Regierung jederzeit Leistungsminderungen vor. Lediglich die Vertrauenszeit, die auf dem Wege der Kompromissfindung gestrichen wurde, sollte weitgehend sanktionsfrei bleiben. Mit dem jetzt beschlossenen Paket müssen Betroffene wieder vom ersten Tag an damit rechnen, vom Amt noch weiter unter das Existenzminimum gedrückt zu werden.
Streit um den Strafenkatalog
Das Bundesverfassungsgericht hat sich 2019 (Aktenzeichen 1 BvL 7/16) mit dem Thema Hartz IV Sanktionen befasst und dafür gesorgt, dass der Strafenkatalog der Jobcenter neu justiert werden musste. Es gibt zudem eine Reihe von Studien, die Leistungskürzungen als angsteinflößend und wenig zielführend charakterisieren. Trotzdem wurde beim Bürgergeld heftig darum gerungen, Menschen auch weiterhin drangsalieren zu dürfen.
Studie bestätigt: Hartz IV Sanktionen schaden der Gesundheit
Sanktionsmoratorium wurde ad acta gelegt
Im Rahmen des Kompromisses wurde daher auch das Sanktionsmoratorium gestrichen. Verankert war diese Regelung im neu geschaffenen § 84 SGB II. Damit sollten Betroffene bis Mitte 2023 vor Leistungskürzungen geschützt werden – mit Ausnahme von Minderungen aufgrund wiederholter Meldeversäumnisse. Das gilt jetzt nicht mehr. Paragraf 84 ist kurzerhand weggefallen.
10 Prozent weniger bei Meldeversäumnissen
Das Ergebnis der Debatte: Bürgergeld Bedürftigen, denen ein Meldeversäumnis vorgeworfen wird, darf das Jobcenter die Leistungen um zehn Prozent kürzen. Diese Minderung gilt dann gemäß dem neu gefassten § 32 SGB II für einen Monat.
Bis zu 30 Prozent Kürzung bei Pflichtverletzungen
Für alle übrigen Pflichtverletzungen sieht das Bürgergeld einen gestaffelten Strafenkatalog vor. Heißt: Wer sich wiederholt weigert, an einer Maßnahme teilzunehmen oder eine zumutbare Stelle anzunehmen, wird entsprechend härter sanktioniert:
- Ein Monat zehn Prozent weniger Bürgergeld bei der ersten Pflichtverletzung.
- Zwei Monate 20 Prozent weniger Bürgergeld bei der zweiten Pflichtverletzung.
- Drei Monate 30 Prozent weniger Bürgergeld bei einem weiteren Verstoß gegen die Regeln.
Dazu, wann es sich um eine wiederholte Verletzung der Pflichten handelt, steht künftig in § 31b SGB II:
„Eine weitere Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt wurde. Sie liegt nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt.“
Sozialforscherin: Hartz IV Sanktionen sind entwürdigend
Sanktionen wurden neu justiert
Dass man sich darum bemüht hat, die Sanktionsregeln zu überarbeiten, geht aus den Erläuterungen im Regierungsentwurf zum Bürgergeld hervor:
„Mit diesem Gesetz wird die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neuregelung der Leistungsminderungen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende umgesetzt.“
Unterkunft und Heizung werden ausgenommen
Zum einen wurde die Höhe der möglichen Kürzungen nach oben hin gedeckelt. Bürgergeld darf um maximal 30 Prozent gemindert werden. Ausgenommen von den Sanktionen sind die Kosten für Unterkunft und Heizung. Zum anderen gelten keine gesonderten – im Sinne von härteren – Regeln mehr für Betroffene unter 25 Jahren.
Allerdings bedeutet dies nicht, dass es keine Vollsanktionen mehr gibt. Diese können durch die Hintertür verhängt werden, in dem die Leistungen aufgrund „fehlender Mitwirkung“ eingestellt werden – dann nicht partiell nur vom Regelsatz sondern vollständig, was einer 100% Sanktion entsprechen würde.
Strafen ab dem ersten Tag
Was sich nicht geändert hat: Jeder, der auf Bürgergeld angewiesen ist, muss rein theoretisch schon vom ersten Tag an mit Sanktionen rechnen. Das sollte eigentlich verhindert werden, indem eine sechsmonatige Vertrauenszeit vorgeschaltet wird. Doch die hat man gestrichen.
Keine Eingewöhnungszeit
Damit wird Betroffenen die Chance genommen, erst einmal den Schock zu verarbeiten, plötzlich auf Hilfe vom Staat angewiesen zu sein, und langsam im System der Grundsicherung anzukommen. Denn der erste Gang zum Amt ist gewiss kein Spaziergang, sondern mit viel Angst behaftet. Diese Angst hätte man mit der Vertrauenszeit mindern können.
Außergewöhnliche Härte
Wenig hilfreich ist auch der Hinweis, dass auf Leistungsminderungen verzichtet wird, wenn es sich um eine „außergewöhnliche Härte“ handelt. Denn am Ende des Tages stellt jede Kürzung der ohnehin zu knapp bemessenen Regelleistung eine Härte dar. Betrachten wir dazu nur einmal den Bedarf für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren. Ab dem 1. Januar 2023 stehen einem erwachsenen Single mit dem Bürgergeld Regelsatz für diesen Bereich 174,19 Euro zur Verfügung oder 5,81 Euro am Tag. Zieht man davon zehn Prozent ab, bleiben 5,23 Euro. Bei 20 Prozent Leistungskürzung wären es 4,64 Euro und bei 30 Prozent nur noch 4,07 Euro. Angesichts der hohen Lebensmittelkosten ist das ganz sicher eine außergewöhnliche Härte.