10 Euro: Um diesen Betrag wurde bis vor das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel verhandelt. Weil das Jobcenter sich weigerte, die Kosten im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets für ein Zirkusprojekt in der Schule zu übernehmen, klagte die Mutter des Mädchens – und bekam Recht. Damit macht sich das BSG stark für die gleichberechtigte Teilhabe von Bürgergeld-Empfängern (Urteil vom 8. März 2023, Aktenzeichen: B 7 AS 9/22 R).
Streit um 10 Euro
Die Vorgeschichte: 2018 veranstaltete die Schule während einer Projektwoche ein Zirkusprojekt für die Klassen 1 bis 6. Dafür wurde ein Zelt aufgebaut. Die Gebühr je Kind: 10 Euro. Da die Klägerin auf Hartz IV (heute Bürgergeld) angewiesen war, beantragte sie beim zuständigen Jobcenter die Kostenübernahme und berief sich auf das Bildungs- und Teilhabepaket.
Jobcenter lehnt Kostenerstattung ab
Das Jobcenter sagte jedoch „nein“ und begründete die Ablehnung damit, dass der Wortlaut im Gesetz (§ 28 SGB II) nur Aufwendungen für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten umfasse. Weil es auf dem Schulgelände stattfinde, falle das Zirkusprojekt nicht unter diese Beschreibung. Das Sozialgericht Cottbus widersprach dem Jobcenter. Beim Landessozialgericht wiederum stellte sich nach der Revision auf die Seite des Jobcenters.
BSG stärkt Rechte der Kinder
Jetzt war es am Bundessozialgericht, über die Kostenübernahme von 10 Euro zu entscheiden. Das Ergebnis ist für Bürgergeld-Empfänger mit Kindern ein echter Erfolg. Denn das BSG sah einen berechtigten Anspruch auf Erstattung der Teilnahmegebühr gemäß den §§ 30 in Verbindung mit 28 Absatz 2 SGB II. § 30 SGB II regelt die Vorleistung (berechtigte Selbsthilfe) und § 28 SGB II die Bedarfe für Bildung und Teilhabe.
Planwidrige Kürzung des Anspruchs
Zwar seien die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten nach allgemeinem Sprachverständnis nicht gegeben, da man für einen Schulausflug gemeinhin das Schulgelände verlasse und das Projekt auf dem Schulgelände durchgeführt worden sei. Doch eine solche, nur auf den Wortlaut bezogene Begrenzung der Leistung verkürze „den Leistungsanspruch planwidrig“.
Gleichberechtigte Teilhabe
Das zentrale Anliegen des § 28 sei „die gleichberechtigte Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an Bildung“. Das gelte gerade an der Schule. Die Hilfe diene dazu, über die typischen Schulausgaben hinausgehende Bedarfe zu decken. In diesem Sinne sei das Zirkusprojekt als „Lernen an einem anderen Ort“ zu bewerten. Die Schule habe eine Veranstaltung organisiert, die „der sozialen Teilhabe der Schulkinder im Klassen- oder Schulverband dient“.
Daher dürfe man die Bürgergeld-Empfängerin nicht auf den Regelbedarf verweisen. Denn, so das BSG: Bildungsbedarfe im schulischen Kontext müssen zur Sicherung des Existenzminimums von Kindern und Jugendlichen gesondert neben dem Regelbedarf erbracht werden, wenn sie von § 28 SGB II erfasst werden.
Nicht der letzte Fall dieser Art
Damit hat der Rechtsstreit um 10 Euro ein Ende, der sehr viel Geld, noch mehr Nerven und viele Ressourcen geschluckt hat. Er wird aber wohl nicht der Letzte gewesen sein. Für Rückforderungen gibt es mit dem Bürgergeld zwar eine neue Bagatellgrenze. Die greift aber nicht in Fällen dieser Art.
Dem Amtsschimmel entgegengestellt
Ganz nebenbei: Mit diesem kleinkarierten Bürokratismus hat das zuständige Jobcenter schon einem Grundschulkind deutlich gemacht, dass es nicht dazugehört. Ausgerechnet bei einem Zirkusprojekt, das Kindern beweisen soll, dass sie weit mehr schaffen, als sie sich selbst zutrauen und mit Applaus dafür belohnt werden. In diesem Fall hat die Mutter den Applaus verdient, weil sie sich dem Amtsschimmel entgegengestellt hat.
Verfahrensgang:
- Sozialgericht Cottbus, S 31 AS 1129/18, 28.11.2019
- Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 3 AS 39/20, 05.04.2022
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