Das Sozialgericht Düsseldorf hat eine Musterklage gegen den Hartz IV Regelsatz abgewiesen – mit klischeehafter Begründung. Überspitzt: Betroffene erhielten so viel Geld, dass Arbeiter sich überlegten, in die soziale Hängematte zu wechseln. Doch mit diesem Urteil ist noch lange nicht Schluss. Vielmehr gilt: jetzt erst recht. Der Sozialverband VdK und der Sozialverband Deutschland, die sich gemeinsam für ein fair berechnetes Bürgergeld einsetzen, haben von Anfang an betont, eine höchstrichterliche Entscheidung herbeiführen zu wollen. Daher hat die Bundesrechtsabteilung des VdK Berufung eingelegt und geht einen Schritt weiter.
Anpassung um weniger als ein Prozent
Der Entschluss, gegen die bestehende Methode zur Fortschreibung der Regelsätze zu klagen, wurde im vorigen Jahr in die Tat umgesetzt. Die Hartz IV Anpassung von 2021 zu 2022 fiel mit 3,00 Euro für Erwachsene (von seinerzeit 446 auf 449 Euro) so knapp aus, dass nicht nur Betroffenen die Hutschnur platze. Weniger als ein Prozent mehr Geld im Portemonnaie und eine rasant steigende Inflation: Da musste etwas passieren. Zumal, so der Sozialverband Deutschland, der Regelsatz „nicht die tatsächlichen Lebensumstände aufgreift“.
Musterverfahren auf den Weg gebracht
Daher wurden Musterverfahren angestrebt. Eines davon führt Thomas Wasilewski. Er gehört zu denen, die ihre Stimme schon lange erheben. Das war nicht immer so. Denn, wie die meisten, hätte er sich früher vermutlich nie träumen lassen, einmal bei der Tafel Schlange stehen zu müssen.
Bürgergeld mit diesen Tricks kleingerechnet – 725 Euro plus Strom anstatt 502 Euro
Der Kläger: Thomas Wasilewski
Thomas Wasilewski hat sich das Leben mit Hartz IV und dem Bürgergeld nicht ausgesucht. Zwei Ausbildungen stehen in seinem Lebenslauf. Ein fester Job. Dann wollte das Herz nach 35 Berufsjahren nicht mehr. Anstrengungen sind seither tabu. 2013 wird Thomas Wasilewski erwerbsunfähig. Seine Rente, das Gehalt der Frau, die gesundheitsbedingt nur halbtags arbeiten kann, und der Ausbildungslohn eines Sohnes (der Bürgergeld-Betroffene hat drei Kinder) reichen jedoch nicht zum Leben. Die Familie muss aufstocken und erlebt, was Armut heißt.
Scham beim Besuch der Tafel
In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ schildert Wasilewski Mitte 2022, wie er sich bei den ersten Besuchen der Tafel die Mütze tief ins Gesicht zog. Scham. Die hat der Familienvater jetzt abgelegt. Er fordert offen, mit Plakat in der Hand, ein höheres Bürgergeld und ist aktiv im Kampf gegen Armut, die er selbst jeden Tag erlebt. Hilfe von der Politik hat er dabei nie erhalten, nicht einmal Antworten auf seine Anrufe in Wahlkampfbüros oder bei Bundestagsabgeordneten.
Betroffene erhalten nur ein Gnadenbrot
Im Gespräch mit der Tageszeitung „junge Welt“ hat er seinem Frust darüber Luft gemacht. Die Interessen der armen Bürger würden von der Regierung nicht berücksichtigt.
„Man erhält ein Gnadenbrot und soll brav den Mund halten“,
ärgert sich der Mönchengladbacher.
Die Unterstützer
Unterstützt wird Thomas Wasilewski in seinem Kampf von den Sozialverbänden, von Helena Steinhaus, der Gründerin des Vereins Sanktionsfrei, Harald Thomé und dem Team des Vereins Tacheles sowie dem Paritätischen Gesamtverband. Diese Solidarität lässt den Bürgergeldempfänger hoffen. Ohne sie wüsste er oft nicht weiter, erklärt Wasilewski dem Portal gegen-hartz.de. Beispiel: Ein Weihnachtsfest wäre ohne die Hilfe von Helene Steinhaus nicht möglich gewesen.
Rechtsstreit für ein faires Bürgergeld
Mit dem Musterverfahren zur Regelsatzfortschreibung nutzt Thomas Wasilewski die Chance, für Millionen Armutsbetroffene klare Bahnen zu schaffen –
„damit das Existenzminimum in Deutschland nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt“.
Basis für die Klage ist ein Gutachten von Dr. Irene Becker. Sie hat nachgewiesen, dass die Regelsatzanpassung zum Jahr 2022 und die Einmalzahlungen nicht ausreichend waren. Klartext: Mit Hartz IV war das Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Daher haben der Sozialverband VdK und der Sozialverband Deutschland die Musterverfahren auf den Weg gebracht.
Bescheid des Sozialgerichts Düsseldorf
Eine erste Entscheidung liegt mit dem Bescheid des Sozialgerichts Düsseldorf (Aktenzeichen: S 40 AS 1622/22 vom 21.02.2023) jetzt vor. Sie ist für den Kläger, seine Familie und alle, die ihn unterstützen, ein kleiner Rückschlag. Die Klage gegen die Regelsatzfortschreibung wurde abgewiesen, weil keine Verfassungswidrigkeit der Leistung erkennbar sei.
Regelsatz gleiche die Inflation aus
Zwar habe die Inflationsrate „erheblich angezogen“ und sei die Kaufkraft dadurch reduziert worden. Daraus ergebe sich allerdings noch keine Verfassungswidrigkeit. Denn: Der Regelsatz sei mit dem Bürgergeld um zuletzt zehn Prozent angehoben und dadurch die Inflation „jedenfalls zum aktuellen Jahreswechsel“ ausgeglichen worden.
Sorge: Menschen geben ihre Arbeit auf
Die zweite Begründung, auf der die Entscheidung des Sozialgerichts fußt, hat dann schon etwas Klischeehaftes. Sie spiegelt genau die Stammtischparolen wider, die Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zur Einführung des Bürgergelds nur allzu gerne bei jeder Gelegenheit wiederholte und die nach wie vor die Runde machen. Demnach geht es Bürgergeld-Empfänger viel zu gut. Oftmals lohne sich Arbeit nicht mehr. Dass ein Gericht sich auf dieses Niveau begibt, ist schon erschreckend.
Im Bescheid heißt es: Das Bürgergeld sei gerade für Familien in Großstädten so hoch,
„dass Geringverdiener bis Normalverdiener, die keinen entsprechenden Inflationsausgleich erhalten, nicht über ein wesentlich höheres Einkommen verfügen als Sozialleistungsbezieher“.
Das Sozialgericht Düsseldorf sieht daher das Risiko,
„dass breite Schichten der Bevölkerung ihre Arbeit aufgeben und von Sozialleistungen leben sollen.“
Das gefährde den Sozialstaat.
Sachfremde Erwägungen
Thomas Wasilewski bezeichnet diese Erwägung im Gespräch mit gegen-hartz.de als „sachfremd“. Er habe sich gefragt, wo der Geist des Grundgesetzes geblieben sei. Die Mär, das Bürgergeld sei viel zu hoch und niemand wolle deshalb mehr arbeiten, habe sich offenbar auch bei den Sozialrichtern festgesetzt.
Dumm und vorurteilsbeladen
Ähnlich äußerten sich auch jene, die Thomas Wasilewski unterstützen. Inge Hannemann, Expertin bei armutverbindet.de schreibt nur „ohne Worte …“. Helena Steinhaus belässt es bei einem „Wow“. Dr. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ist weniger zurückhaltend: „Mal ganz abstrakt gefragt: Wie dumm und vorurteilsbeladen dürfen Richter sein.“
Gegen den Bescheid wurde Berufung eingelegt. Das heißt: Es geht weiter an das Landessozialgericht. Auf diesem Weg wünscht sich Thomas Wasilewski, dass auch arme Menschen auf die Straße gehen und Solidarität zeigen:
„So wie es jetzt ist, darf es nicht bleiben.“