Stolz und voller Tatendrang informiert die Bundesagentur für Arbeit (BA) in einer Pressmitteilung über die „entscheidenden Regelungen zum Bürgergeld“. Sie treten als zweite Stufe des Gesamtkonzepts am 1. Juli in Kraft und versorgen die BA laut eigener Aussage mit einem größeren Instrumentenkasten. Er beinhaltet die Chance für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe, basierend auf 17 Jahren Erfahrung – in denen man offenbar wenig dazugelernt hat.
Die BA zum Bürgergeld
Bislang hat die BA sich zurückgehalten, wenn es um das Bürgergeld geht. Sie informiert zwar fleißig, aber eher im Stile eines Ratgebers. Stellenweise gab es ein paar Einwürfe und vor der Einführung einen Hauch von Kritik, man benötige mehr Zeit. Doch jetzt scheint alles im Lot und wagt der Vorstand Regionen bei der BA, Daniel Terzenbach, eine Einschätzung der Reform.
Unterstützung auf Augenhöhe
Zum Sommer sei vor allem der Eingliederungskomplex mit den Themen Weiterbildung und Qualifizierung weiterentwickelt worden. In diesem Zusammenhang spricht die BA auch von Unterstützung Bürgergeld Bedürftiger auf Augenhöhe und listet die wichtigsten Änderungen. Dazu gehören:
- Weiterbildungsgeld
- Bürgergeldbonus
- Kooperationsplan samt Schlichtungsverfahren
- höhere Freibeträge bei ergänzendem Einkommen
- die ganzheitliche Betreuung (Coaching)
Mehr als eine Namensänderung
„Das Bürgergeld ist mehr als eine bloße Namensänderung“,
schreibt Daniel Terzenbach. Damit widerspricht er unter anderem der Partei „Die Linke“, Vertretern der Sozialverbände wie Dr. Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband und vielen Betroffenen.
Es handle sich vielmehr um eine wichtige Reform. Das Bürgergeld biete mehr Fördermöglichkeiten und eine nachhaltigere Arbeitsmarktintegration. Dafür stehe ein größerer Instrumentenkasten bereit, der sich individueller an der Lebenslage der Menschen ausrichte. Überdies betont der BA-Vorstand Regionen: In diese Reform seien
„unsere Erfahrungen aus den letzten 17 Jahren eingeflossen“.
Kritisch nachgefragt
Angesichts der Aussage, dass die Basis des Bürgergelds 17 Jahre Erfahrung (Anm. de. Redaktion: aus Hartz IV) sein sollen, stellen sich gleich mehrere Fragen.
Faire Regelsätze
Warum gibt es immer noch keine fairen Regelsätze? Dass die Bürgergeld Regelbedarfe trotz Anpassung und einer Überarbeitung des Fortschreibungsmechanismus vorn und hinten nicht reichen, ist inzwischen sogar dem einen oder anderen Leiter eines Jobcenters aufgefallen. Auch Verbände und Vereine, etwa die Tafeln, sprechen sich seit Jahren dafür aus, die Regelsätze nach lebensnahen Kriterien zu berechnen.
Das Thema Sanktionen
Warum hält man an Sanktionen fest? Sanktionen bauen Druck auf und sorgen eher dafür, dass Bürgergeld Bedürftige gar nicht mehr mit dem Jobcenter kooperieren – aus Angst. Ferner belegen immer mehr Studien, dass Bürgergeld Sanktionen nicht den gewünschten Effekt haben, sondern eher dafür sorgen, dass Betroffene irgendeinen Job nehmen und dann nach ein paar Wochen wieder auf der Matte stehen (Drehtüreffekt).
Studie bestätigt: Bürgergeld-Sanktionen negativ für Eingliederung
Dünne Personaldecke
Sind die Jobcenter personell für die zweite Stufe des Bürgergelds gerüstet? Wenn so viel Erfahrung im Hartz-IV-Nachfolger steckt, müsste der BA klar sein, dass die Jobcenter mit ihrer dünnen Personaldecke nicht weit kommen. Beratung auf Augenhöhe kostet mehr Zeit und ist ohne geschulte Fachkräfte nicht machbar. Daran hapert es aber. Die Jobcenter beklagen sich nicht ohne Grund landauf, landab über die enorme Belastung.
Die Finanzen
Reichen die finanziellen Mittel für die Ziele? Weiterbildung, Qualifizierung, Coaching – all das gibt es nicht beim Discounter und nicht als Nullsummenspiel. Auch das müsste man wissen, wenn man 17 Jahre Erfahrung mitbringt. Trotzdem scheint es so, dass auch in den Jobcentern Schmalhans das Sagen hat. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass den Jobcentern das Geld fehlt. Dazu passt, dass Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) mehr Geld fordert und betont: „Qualifizierungen gibt es nicht zum Nulltarif“.
Wahnsinn Bürgergeld
Erfahrung ist das eine. Man muss dann aber auch die richtigen Schlüsse daraus zielen, um nicht auf der Stelle zu treten. Albert Einstein soll gesagt haben:
„Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“
In diesem Sinne ist das Bürgergeld Wahnsinn.
Zur Pressemitteilung der BA vom 29.06.2023 auf presseportal.de
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