Schlechte Ernährung, schlechte Gesundheit. Weil das Geld beim Bürgergeld nicht reicht, wird an Lebensmitteln gespart. Und da längst nicht jeder eine Tafel in der Nähe hat oder sich anderweitig über Hilfe freuen darf, hat das langfristige Folgen. Sicher ist, so eine Dokumentation des wissenschaftlichen Beirates: Das Bürgergeld, vorher Hartz IV und auch schon die Sozialhilfe reichen beziehungsweise reichten nicht aus, um sich gesund und vollwertig zu ernähren.
Dokumentation zu gesunder Ernährung
In Auftrag gegeben hatte die Arbeit, die Ende des Jahres 2022 beendet wurde, die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Jessica Tatti. Die Dokumentation verschafft einen Überblick zu Fachliteratur und Studien, die sich den „Kosten einer Ernährung nach den Empfehlungen der DGE“ widmen (DGE: Deutsche Gesellschaft für Ernährung). Insgesamt 17 Statements und Arbeiten werden in der Sammlung aufgegriffen.
Regelsatz ist zu knapp bemessen
Die Mehrheit der Studien, bei denen auch die Bezahlbarkeit und soziale Transferleistungen in die Untersuchungen einfließen, kommt zu dem Schluss: Das Bürgergeld (vorher Hartz IV) ist zu knapp bemessen, um entsprechend den DGE-Empfehlungen einzukaufen.
Wenige geben Betroffenen die Schuld
Nur eine, als strittig geltende Studie aus dem Jahr 2008, sah den Regelbedarf als zu hoch an. Eine andere wirft Betroffenen, mangelnde hauswirtschaftliche Kompetenzen vor – eine Aussage, die im Oktober 2022 vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft aufgegriffen wurde. Kurzum: Man erklärte Bürgergeld Betroffene für zu dumm, ordentlich zu wirtschaften und zu kochen.
Wir haben berichtet: Regierung: Hartz IV Bedürftige kaufen falsch ein
Sozialhilfe reichte nur 19,5 Tage
Gut, dass ein solcher Schlag ins Gesicht die absolute Ausnahme ist. Die meisten Experten machen die Politik für die Probleme und die Ernährungsarmut verantwortlich. Dazu einige Beispiele aus der Dokumentation:
- Prof. Ulrike Arens-Azevedo und Prof. Dr. Hans-Konrad Biesalski erklärten 2019: „Es ist in der Tat schwierig auf Basis der aktuellen Hartz IV Sätze eine gesundheitsfördernde Ernährung zu realisieren.“
- Konstantin von Normann schrieb 2011 in einem Aufsatz zur Ernährungsarmut: „Schon Anfang der 1990er Jahre konnte Roth […] nachweisen, dass der monatlich zugewiesene Sozialhilfebetrag für Lebensmittel im Schnitt lediglich 19,5 Tage reicht.“
- Kersting und Clausen resümierten 2007, dass mit dem Ernährungsbudget der Regelsätze des ALG II selbst eine preisgünstig konzipierte, gesunde Kost nicht realisiert werden könne.
- Leclaire und andere betonten 2009: „Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass eine vollwertige Ernährung unter den Bedingungen von Hartz IV zwar rein rechnerisch möglich ist, sich aber in der täglichen Umsetzung ausgesprochen schwierig gestaltet.“
- Laut Prof. em. Dr. Hans-Konrad Biesalski (2021) müsste der Regelsatz für Nahrungsmittel bei einer gesunden Ernährung für Kinder bis fünf Jahren 4,50 Euro statt 2,82 Euro betragen, bei Erwachsenen 7,50 Euro statt 3,89 bis 4,86 Euro am Tag.
- Die Verbraucherzentralen forderten 2022 Sonderzahlungen für Menschen mit niedrigem Einkommen, niedriger Rente und Beziehern von Grundsicherung.
Problem ist seit Jahren bekannt
Dass sich gesunde Ernährung und das Bürgergeld ausschließen, ist also kein Märchen, sondern eine von vielen Studien gestützte Tatsache. Was daran besonders bitter aufstößt: Das Problem ist seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten bekannt, wenn man bis in die 1990er Jahre zurückblickt.
Bürgergeld reicht nicht einmal 15 Tage für eine gesunde Ernährung
Darauf machte auch der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz 2020 aufmerksam. Damals zitierte er eine Studie aus dem Jahr 2007 von Kersting und Clausen. Sie hatten berechnet, dass die Deckungslücke zwischen dem damaligen Regelsatz für Ernährung und den tatsächlich entstehenden Ausgaben 18 Prozent bei 4- bis 6-Jährigen betrug und 44 Prozent bei 15- bis 18-Jährigen. Heute dürfte die Lücke angesichts der Inflation deutlich höher ausfallen.
Nachhaltige Entwicklungsstörungen
Obwohl Wissenschaftler und der Wissenschaftliche Beirat immer wieder auf das Problem der Ernährungsarmut eingehen, passiert nichts. Dabei sind die Folgekosten deutlich höher als ein fairer Regelsatz. Denn, so Professor Biesalski mit Blick auf Kinder und Jugendliche:
„Armut bedeutet immer auch Ernährungsarmut und hat nachhaltige und oft nicht mehr zu korrigierende Entwicklungsstörungen zur Folge.“
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