Der Streit um das Bürgergeld wirft kein gutes Licht auf den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Weil Betroffene seit diesem Jahr monatlich 53 Euro mehr zur Verfügung haben, wurde und wird eifrig nach unten getreten, auch von der Politik. Dazu noch neue Sanktionsregeln und eine Karenzzeit: Das war wohl zu viel des Guten. Bestes Beispiel dafür sind die Kommentare auf der Seite der Tagesschau zu den Neuerungen beim Bürgergeld.
Mehr Geld fürs Nichtstun
Das Menschenbild, das mit diesen teils nur kurzen Aussagen gezeichnet wird, stellt jeden einzelnen, der auf das Bürgergeld angewiesen ist, als faul dar. Als Schmarotzer, die sich über „mehr Geld fürs Nichtstun“ freuen. Vor allem aber: Einkommensschwache Haushalte werden gegeneinander ausgespielt. Rentner gegen Kranke, Rentner gegen Alleinerziehende und so weiter.
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Bekannte Klischees
Letztlich werden sämtliche Klischees bedient, die schon seit Hartz IV bekannt sind. „Arbeitslosigkeit muss unangenehm sein“, heißt es in einem der Kommentare. Einhergehend mit der Forderung, die Grundsicherung müsse täglich zwischen 6:30 und 7:00 Uhr persönlich beim Amt abgeholt werden. Alles andere wäre ein staatlich geförderter Ganzlebensurlaub.
Faulenzen ohne Gegenleistung
Oder: Mit dem Bürgergeld werde das Faulenzen ohne Gegenleistung gefördert. Betroffene würden nicht mehr aktiv die Gesellschaft unterstützen. Daraus resultiere auch die Gefahr, dass Geringverdiener in den Sack hauten und statt zu arbeiten, lieber Bürgergeld kassierten. Mit diesem Argument haben ganz nebenbei auch CDU und CSU ihre Blockade begründet.
Selbst schuld
Und dann gibt es noch jene, die behaupten, 75 Prozent der Arbeitslosen seien selbst schuld an ihrer Situation. Sie hätten sich das bewusst so ausgesucht und in der Schule besser aufpassen sollen. Laut diesem Kommentar sind Bürgergeldempfänger nicht nur faul, sondern auch noch dumm.
Zu alt für den Arbeitsmarkt
Auf der anderen Seite gibt es die, die sich nicht scheuen, ihre eigene Situation zu schildern und den Hasstiraden entgegenzustellen. Eine 64-Jährige schreibt, ihre persönliche Leistung sei nicht mehr gefragt, weil sie für den Arbeitsmarkt zu alt sei: „Sicher haben Sie einen schlauen Rat für Sozialschmarotzer wie mich.“ Die Frau, die ihren Mann bis zum Ende pflegte, nennt die Kommentare schlicht „selbstgerecht“. Doch das geht in der Masse unter.
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Regierung muss mehr Rückhalt bieten
Schuld an diesem Menschenbild hat auch die Regierung. Sie wäre gut beraten, Betroffenen mehr Rückhalt zu bieten, indem mehr auf die Lebenssituation eingegangen wird. Beispiele:
- Sanktionen betreffen nur drei Prozent aller Bürgergeldempfänger. Die Mehrheit hält sich demnach an alle Spielregeln.
- Viele, die auf Bürgergeld angewiesen sind, können nicht arbeiten. Sie sind krank, alleinerziehend, zu alt oder pflegen einen oder sogar mehrere Angehörige.
- Immer mehr Berufstätige müssen zusätzlich zum Gehalt Bürgergeld beantragen und aufstocken, weil sie sonst nicht über die Runden kommen.
- Dass inzwischen über zwei Millionen Menschen auf die Tafeln angewiesen sind, unterstreicht die angespannte Lage, in der das Bürgergeld nicht einmal das Existenzminimum sichert.
Auf diese Probleme macht die Aktion #IchBinArmutsbetroffen seit Monaten auf Twitter aufmerksam. Nur leider scheint das niemanden zu interessieren.
Die Gesellschaft wird immer weiter gespalten
Wenn die Regierung es nicht schafft, die unsäglich Bürgergeldmythen aus der Welt zu schaffen, droht die Spaltung der Gesellschaft immer weiter fortzuschreiten. Das geht inzwischen so weit, dass Sender wie der rbb die Kommentarfunktion bei Beiträgen zum Bürgergeld aufgrund der Menge an Hassnachrichten abschalten müssen.
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