Bürgergeld Sanktionen, die jetzt Leistungsminderungen heißen, sind wieder in aller Munde. Entgegen allen Studien und Warnungen von Sozialverbänden hat sich die Ampelregierung dazu entschlossen, Totalverweigerern den Bürgergeld Regelsatz bis zu zwei Monate komplett zu streichen – im Gespräch ist auch ein dauerhafter Entzug. Doch geht das einfach so? Kann man Betroffenen von jetzt auf gleich jeden Cent Grundsicherung aberkennen?
Widerliches Menschenbild
Union und FDP dürften stolz sein. Sie haben erreicht, was sie schon vor der Einführung des Bürgergelds für nötig erachteten. 100 Prozent Leistungsentzug bei der Bürgergeld Grundsicherung entsprechen genau ihrem Menschenbild vom faulen Leistungsempfänger, der sich auf Kosten der Allgemeinheit einen lauen Lenz macht. Wie weltfremd diese Sichtweise ist, beweisen die vielen alten, kranken, pflegenden, erziehenden oder aufstockenden Betroffenen.
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150.000 Totalsanktionierungen
Die Regierung selbst rechnet mit 150.000 Bürgergeld Bedürftigen, denen aufgrund von Arbeitsverweigerung eine 100-Prozent-Sanktion droht – ausgehend von der erhofften Ersparnis in Höhe von etwa 170 Millionen Euro pro Jahr. Dem stehen die Zahlen des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit (IAB) entgegen. Demnach hätte es 2021 rund 52.000 Fälle gegeben und vor Corona 82.000.
Schwarze Listen im Jobcenter
Die Jobcenter müssten die dicke Keule also deutlich öfter aus der Schublade holen. Glaubt man einigen wenigen Medienberichten, haben einige Sachbearbeiter bereits „schwarze Listen“ und können es gar nicht abwarten, bestimmten Bürgergeld Bedürftigen die Leistungen bis auf die Kosten für Unterkunft und Heizung zu streichen.
Pflicht: Rechtsfolgebelehrung
Doch bevor das passiert, müssen Betroffene hinreichend informiert worden sein und wissen, welche Konsequenzen ihr Handeln oder vielmehr eine Arbeitsverweigerung hat. Oder in den Worten der Fachlichen Weisung der Bundesagentur für Arbeit:
„Eine Leistungsminderung nach § 31 Absatz 1 kann nur eintreten, wenn die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person vorher über die Rechtsfolgen schriftlich belehrt wurde oder die Rechtsfolgen kannte.“
https://www.arbeitsagentur.de/datei/fw-sgb-ii-31-31b_ba015902.pdf
Vollständig und verständlich informieren
Hier gilt: Betroffene müssen „konkret, verständlich, richtig und vollständig“ belehrt werden. Dazu reicht ein simples Merkblatt nicht aus. Zudem muss die Belehrung dokumentiert werden – weshalb Rechtsfolgebelehrungen schriftlich erfolgen müssen. Wenn bereits eine Minderung aufgrund einer gleichartigen Pflichtverletzung eingetreten ist, geht das Jobcenter davon aus, dass Bürgergeld Bedürftige wissen, was ihnen blüht.
Anhörung und außergewöhnliche Härte
In § 31 a SGB II (Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen) ist in Absatz 2 zudem die Möglichkeit einer Anhörung vorgesehen und findet sich in Absatz 3 der Hinweis, dass auf Sanktionen verzichtet werden soll, wenn sie außergewöhnliche Härten darstellen. Und da bereits jetzt Kürzungen von zehn, 20 und 30 Prozent vorgesehen sind, wenn man Mitwirkungspflichten verletzt, dürfte eine Totalsanktionierung aus der hohlen Hand heraus wohl nicht möglich sein.
Keine Kürzung aufs Geratewohl
Das heißt: Sanktionen hat es beim Bürgergeld schon immer gegeben. Sie sollen jetzt deutlich verschärft werden. Voraussetzung, dass überhaupt Leistungen gekürzt werden dürfen, ist allerdings, dass Betroffene über die Rechtsfolgen belehrt worden sind und somit wissen, was passiert, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen.
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