Hart, härter, Hartz IV: von wegen. Wenn die Wachstumsinitiative greift, erreicht das Bürgergeld eine völlig neue Dimension von Druck und Drangsalierung. Hartz IV wird nicht überwunden. Hartz IV wird „übertrumpft“. Damit geht der größten Sozialreform seit Jahren bereits nach wenigen Monaten die Puste aus. Von den Versprechen der Regierung wie Augenhöhe bleibt nichts übrig. Sehr zur Freude etwa von FDP-Fraktionschef Christian Dürr, der die neue Härte lobt.
Heil opfert Bürgergeld Bedürftige für Haushaltskompromiss
Zur Arbeit motivieren
Fortschritt predigen und im sozialen Bereich den Rückschritt einläuten. Ein Blick auf Punkt 23 der Wachstumsinitiative mit dem vielsagenden Titel „Erwerbsanreize im Bürgergeldbezug stärken“ zeigt, wohin die Reise gehen soll: zurück zu Hartz IV. Hier werden die Maßnahmen gebündelt, mit denen Bürgergeld Bedürftigen das Leben schwer gemacht werden soll. Oder in den Worten von Christian Dürr: „Das Bürgergeld ist keine soziale Hängematte, sondern soll zur Arbeit motivieren.“
Die Sozialreform ist Geschichte
Andere sprechen angesichts der geplanten Maßnahmen von einem Rückfall in Hartz-IV-Zeiten. Verdi-Chef Frank Werneke bezeichnet die Bürgergeld-Reform bereits jetzt als „Geschichte“. Mit vielen der Änderungen verfällt man in alte Muster oder versucht es mit noch mehr Härte. Die Details:
- Zumutbarkeit: Drei Stunden tägliche Pendelzeit bei einer Arbeitszeit von sechs oder mehr Stunden am Tag. Das sind 30 Minuten mehr als zu Zeiten von Hartz IV. Lediglich bei unter sechs Stunden täglicher Arbeitszeit bleibt es bei 2,5 Stunden. Zusätzlich wird der Suchradius des Jobcenters auf 50 Kilometer ausgeweitet. 1:0 in Sachen Härte für das Bürgergeld.
- Mitwirkungspflichten: Strafe muss sein. Wer nicht spurt, soll das auch zu spüren bekommen: Künftig wieder mit einer Leistungskürzung von 30 Prozent für drei Monate wie zu Zeiten von Hartz IV und nicht mehr abgestuft von zehn über 20 auf 30 Prozent. Damit steht es schon 2:0.
- Meldeversäumnisse: Bislang und bei Hartz IV wurden zehn Prozent des Regelsatzes für einen Monat gekürzt; demnächst streicht das Jobcenter direkt 30 Prozent für einen Monat. Auch hier greift man zur Peitsche und nicht zum Zuckerbrot. Und noch ein Punkt für das „neue Bürgergeld“ – 3:0.
- Hohe Kontaktdichte: Jeder, der dem Arbeitsmarkt kurzfristig zur Verfügung steht – etwa jene, die keine Kinder haben oder Angehörige pflegen –, soll sich jeden Monat beim Jobcenter melden. Vor dem Bürgergeld gab es eine solche Pflicht nicht. Plus eins macht 4:0.
- Schwarzarbeit: Wer bei Schwarzarbeit erwischt wird, verliert 30 Prozent des Regelsatzes für drei Monate. Eine Neuerung, die mit der Wirtschaftsinitiative kommt. Damit steht es 5:0.
- Karenzzeit Schonvermögen: Die Karenzzeit wird kurzerhand halbiert auf sechs Monate. Damit verschlechtern sich die aktuellen Rahmenbedingungen beim Bürgergeld in Punkto Schonvermögen und angemessenen Wohnkosten ebenfalls. Immerhin: Bei Hartz IV gab es überhaupt keine Karenzzeit, daher bleibt es beim 5:0.
- Ein-Euro-Jobs: Totalverweigerer sollen mit Ein-Euro-Jobs „in den Arbeitsmarkt befördert“ oder schlicht in die Spur gebracht werden. Auch das sorgt für mehr Härte, demnach: 6:0.
- Transferentzugsraten: Wer arbeitet, soll mehr Geld behalten dürfen bzw. es wird weniger Verdienst auf das Bürgergeld angerechnet. Klingt gut, ist aber nicht ausformuliert. Trotzdem: 6:1.
- Anschubfinanzierung: Der Bonus für alle, die sich mit einem Job aus der Abhängigkeit vom Bürgergeld manövrieren, bringt keine Härte und stellt auch keine echte Veränderung zu Hartz IV dar. Denn letztlich ist es eine Art Einstiegsgeld, wie es längst in §16b SGB II definiert ist. Endstand: 6:1.
Lindner: Bürgergeld wird 2025 nicht erhöht
Mit Druck zum Job
All diese Maßnahmen bringen genau das, was man eigentlich vermeiden wollte: Menschen in jeden Job zu zwingen. Wer seine Arbeit verliert, sieht sich dann einem drastischen Abstieg gegenüber. Vor allem aber: Es bringt nichts. Die „Bild“ spricht in dem Kontext von einem Märchen. Das Bürgergeld bringt Menschen nicht nachhaltig in Arbeit – und wird es auch mit der Verschärfung nicht schaffen. Stattdessen steht jeder Zweite nach drei Monaten wieder auf der Matte und stellt einen Antrag auf Bürgergeld. Das nennt man Drehtüreffekt.
Experimentierkasten Bürgergeld
„Das neue Bürgergeld wird teilweise härter und vor allem treffsicherer sein als Hartz IV – mit wirksamen Sanktionen, die nicht zu absurder Bürokratie führen“, glaubt Christian Dürr. All das erweckt den Eindruck, als handele es sich beim Bürgergeld um ein Schulprojekt der Ampel, bei dem jeder mal ein wenig experimentieren darf. Dass es hier um Menschen geht, die größtenteils ohnehin schon am Boden liegen, scheint niemanden zu jucken.
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