Das ist Politik: Weil man die Zahlen nicht im Griff hat, wird getrickst. Und da man der festen Überzeugung ist, das Bürgergeld sei zu hoch, hat man auch gleich den passenden Dreh- und Angelpunkt gefunden. Man „bastelt“ sich ein neues Existenzminimum, um die Regelsätze um bis zu 20 Euro kürzen zu können. Dass man vielen Betroffenen damit den Boden unter den Füßen wegzieht und die Leistungen schon jetzt nicht den tatsächlichen Anforderungen entsprechen, spielt dabei keine Rolle.
Kürzung um 20 Euro pro Monat
Bis zu 20 Euro weniger pro Monat stehen beim Bürgergeld zur Debatte. Weil die eigenen Berechnungen plötzlich als fehlerhaft eingestuft werden und die Inflation doch nicht so schlimm war, sollen Betroffene dafür bezahlen. Der Vorstoß kommt von der FDP. Rechtlich möglich wäre es, so die Liberalen, wenn man das Existenzminimum neu definiert. Seitens der Ampelpartner folgte darauf zwar ein leichtes Murren, mehr aber auch nicht.
Den Ärmsten geht es ans Portemonnaie
Der grandiose Plan, den Ärmsten ans Portemonnaie zu gehen, um die selbst gerissenen Lücken in der Staatskasse zu füllen, widerspricht allem, was im Koalitionsvertrag versprochen worden war. Es zeugt von fehlender Menschlichkeit. Statt Augenhöhe gibt es Tritte von oben. Indem man das Bürgergeld als zu „teuer“ darstellt, brandmarkt man alle Bedürftigen als Schmarotzer. Auch ein Weg, vom eigenen Versagen abzulenken.
Realität versus Regierung
Was daraus folgt, ist eine düstere Zukunft. Wenn das Bürgergeld tatsächlich gekürzt wird, um den Haushalt zu sanieren, stehen viele Betroffene nicht mehr mit dem Rücken zur Wand. Sie fallen hinten über. Dabei wird schon seit Jahren bewiesen: Die Regelsätze sind zu niedrig.
- Die Bundesregierung gesteht seit Jahren ein, dass viele Bürgergeldempfänger jeden Monat über 100 Euro vom Regelsatz zur Miete beisteuern müssen, weil die Mietobergrenzen veraltet sind.
- Vergleichsportale belegen schwarz auf weiß, dass die Stromkosten mit Bürgergeld kaum gedeckt werden.
- Mehrbedarfe, etwa für neue Möbel, basieren auf Daten, die teils 15 Jahre auf dem Buckel haben. Darauf machen Landessozialgerichte aufmerksam, werden aber nicht gehört.
- Sozialverbände haben nachgerechnet und kommen auf einen Wert von 813 Euro für eine alleinstehende Person, um Teilhabe möglich zu machen. Gezahlt werden 563 Euro.
- Die Tafeln schlagen Alarm, weil inzwischen zwei Millionen Menschen auf ihre Hilfe angewiesen sind und das Limit längst überschritten ist.
- Vergleicht man die Entwicklung des Verbraucherpreisindex mit den Anpassungen der Regelsätze, zeigt sich: Hartz IV und das Bürgergeld hinkten bis 2024 der Inflation stets hinterher. Heißt: Betroffene hatten weniger in der Tasche, als nötig gewesen wäre.
Das Bürgergeld ist unzureichend
Das alles sind keine Milchmädchenrechnungen oder unbedarften Äußerungen. Es sind Beweise dafür, dass Bürgergeld und vorher Hartz IV unzureichend waren. Erst mit der jüngsten Fortschreibung wurde dieser Teufelskreis durchbrochen – und nachgeholt, was über Jahre versäumt worden war. Hier jetzt den Rotstift anzusetzen, ist das beste Beispiel dafür, wie man die Ärmsten der Armen zu Fußabtretern für politisches Versagen oder schlicht zu den „Sparschweinen“ der Nation macht. Hier muss man nicht mit großem Widerstand rechnen und schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe, indem man zusätzlich Bürgergeldkritiker für sich vereinnahmt.
Titelbild: Marko Aliaksandr / shutterstock