Kinder dürfen nicht für das Verhalten ihrer Eltern bestraft werden – das hat das Sozialgericht Kiel in einem aktuellen Urteil klargestellt. Auch wenn Eltern gegen Regelungen des Jobcenters verstoßen, bleibt der Bürgergeld-Anspruch ihrer Kinder bestehen. Im verhandelten Fall ging es darum, ob ein Kind seinen Anspruch auf Bürgergeld verliert, wenn die Eltern unerlaubt ortsabwesend sind und deshalb keine Leistungen mehr erhalten. Das Gericht entschied zugunsten des Kindes und stellte klar: Kinder haben weiterhin Anspruch auf Bürgergeld, selbst wenn die Eltern keine Leistungen erhalten. (Az. S 33 AS 223/22)
Mutter bleibt länger im Ausland
Eine alleinerziehende Mutter reiste mit ihrem damals vierjährigen Sohn ins Ausland, um ihre Familie zu besuchen. Das Jobcenter genehmigte die Ortsabwesenheit bis zum 7. April 2022. Aufgrund einer Nasenoperation musste die Mutter länger im Irak bleiben und informierte das Jobcenter darüber. Da sie sich jedoch nicht fristgerecht zurückmeldete, entschied das Jobcenter, die Leistungen für Mutter und Kind für den Zeitraum 20. April 2022 bis 30. April 2022 aufzuheben.
Nachdem sie sich erst am 16. Mai 2022 persönlich beim Jobcenter zurückmeldete, hob das Jobcenter zudem rückwirkend ab dem 1. Mai 2022 die Leistungen vollständig auf. Die Mutter forderte daraufhin eine Überprüfung und argumentierte, dass der Leistungsausschluss der Mutter nicht den Anspruch des Kindes betreffen dürfe. Das Jobcenter lehnte dies jedoch ab, und es kam zur Klage vor dem Sozialgericht.
Kind hat weiterhin Bürgergeld-Anspruch
Das Sozialgericht Kiel gab der Klage statt und entschied, dass das Jobcenter den Anspruch des Kindes unrechtmäßig aufgehoben hatte. Die Kernfrage war, ob der Anspruch des Kindes automatisch erlischt, wenn die Mutter keine Leistungen erhält. Das Gericht stellte klar, dass dies nicht der Fall ist.
Keine Anwendung der Ortsabwesenheitsregelung auf Kinder
Das Sozialgericht verwies darauf, dass Kinder unter 15 Jahren nicht erwerbsfähig sind und deshalb nicht den Regelungen zur Ortsabwesenheit unterliegen. „Durch die unerlaubte Ortsabwesenheit der Mutter entfiel nicht deren Leistungsberechtigung nach dem SGB II dem Grunde nach, sondern nur deren Anspruch auf Auszahlungen der Leistungen für die Tage ihrer unerlaubten Ortsabwesenheit“, erklärte das Gericht. Dies bedeutet, dass die Mutter zwar keine Zahlungen für die fraglichen Tage erhält, der Anspruch des Kindes jedoch bestehen bleibt, da es keine Verpflichtung gibt, für den Arbeitsmarkt verfügbar zu sein.
Das Jobcenter hatte argumentiert, dass der Sohn nur als Teil der Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter Bürgergeld beziehen könne. Wenn die Mutter keine Leistungen mehr erhalte, entfalle auch der Anspruch des Kindes. Das Gericht widersprach dieser Argumentation jedoch und stellte klar, dass der Leistungsausschluss der Mutter nicht auf den Sohn übertragen werden dürfe. „Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, einen erlaubt ortsabwesenden Leistungsberechtigten schlechter zu stellen als einen ortsanwesenden“, heißt es im Urteil.
Kind darf nicht für Verhalten der Mutter bestraft werden
Besonders wichtig war für das Gericht, dass das Kind nicht für die unerlaubte Ortsabwesenheit der Mutter bestraft werden darf. Es sei nicht Aufgabe des Kindes, den Anteil der Mutter an den Unterkunftskosten zu tragen. „Das menschenwürdige Existenzminimum des Kindes muss gewährleistet werden“, urteilte das Gericht. Das Kind hat daher Anspruch auf die vollen Unterkunftskosten für den Zeitraum der nicht genehmigten Ortsabwesenheit, auch wenn die Mutter in dieser Zeit keine Leistungen erhalten hat.
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