Ein Schädlingsbefall in der Wohnung ist nicht nur unangenehm, sondern kann auch schwerwiegende hygienische und gesundheitliche Probleme verursachen. Doch Bürgergeld-Empfänger haben nicht automatisch Anspruch auf eine Erstausstattung ihrer Wohnung durch das Jobcenter, wenn sie ihre Möbel wegen Ungezieferbefall entsorgen. Dies bestätigte das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt unter dem Aktenzeichen L 2 AS 361/20 B ER.
Familie entsorgt Möbel wegen Kakerlakenbefall
Im vorliegenden Fall kämpfte eine Familie aus Sachsen-Anhalt, die auf Hartz IV Leistungen – das heutige Bürgergeld – angewiesen war, über Monate hinweg mit Kakerlakenbefall in ihrer Wohnung. Der Vermieter unternahm trotz wiederholter Mietminderungen keine effektiven Schritte, um das Ungeziefer zu beseitigen. Als die Familie schließlich in eine neue Wohnung umziehen durfte, beschlossen sie, ihre befallenen Möbel nicht mitzunehmen und entsorgte sie auf dem Sperrmüll. Lediglich eine gereinigte Wohnzimmeranbauwand wurde in die neue Wohnung übernommen.
Antrag auf Erstausstattung abgelehnt
In der neuen Wohnung beantragte die Familie eine Erstausstattung beim Jobcenter, darunter Betten, Schränke, Lampen und einen Kühlschrank. Das Jobcenter lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass es sich bei den Möbeln um eine Ersatzbeschaffung handele, die durch den Regelsatz gedeckt sei. Eine gründliche Reinigung der alten Möbel hätte ausgereicht, um den Schädlingsbefall zu beseitigen. Da keine außergewöhnlichen Umstände wie ein Wohnungsbrand oder eine Inhaftierung vorlagen, die eine Erstausstattung rechtfertigen würden, bestehe kein Anspruch auf eine Neuanschaffung
Kakerlakenbefall rechtfertigt keine Erstausstattung
Die Familie legte Widerspruch ein und stellte einen Eilantrag beim Sozialgericht Halle, da sie der Meinung war, der Schädlingsbefall stelle eine besondere Bedarfslage dar, vergleichbar mit einem Wohnungsbrand, was die Neuanschaffung der Möbel rechtfertigen würde. Das Gericht lehnte den Antrag jedoch ab, da es keinen Beweis dafür gab, dass die Möbel durch den Befall unbrauchbar geworden seien.
Keine außergewöhnliche Bedarfslage
Das Gericht stellte klar, dass ein Kakerlakenbefall keine außergewöhnliche Bedarfslage im Sinne des Sozialgesetzbuches darstellt, die eine Erstausstattung rechtfertigen würde. Es wies darauf hin, dass die Abgrenzung zwischen einer Erstausstattung und einer Ersatzbeschaffung entscheidend sei. Eine Ersatzbeschaffung, wie in diesem Fall, werde durch den Regelsatz abgedeckt und sei nur unter außergewöhnlichen Umständen, wie beispielsweise einem Wohnungsbrand oder einer Inhaftierung, einer Erstausstattung gleichzustellen. Zudem konnte die Familie nicht glaubhaft machen, dass eine vollständige Entsorgung der Möbel aufgrund des Schädlingsbefalls zwingend erforderlich war. Da diese besonderen Umstände nicht vorlagen und eine Reinigung der Möbel möglich gewesen wäre, sah das Gericht keine Grundlage für die Übernahme der Kosten für neue Möbel.
Gericht: Reinigung hätte genügt
Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt bestätigte in der zweiten Instanz die Entscheidung des Sozialgerichts. Es stellte fest, dass der Kakerlakenbefall keine außergewöhnlichen Umstände darstelle, die eine Ersatzbeschaffung notwendig machten. Vielmehr wäre es der Familie zuzumuten gewesen, die Möbel gründlich zu reinigen, wie es bereits mit der Wohnzimmeranbauwand geschehen war. Eine pauschale Entsorgung der Möbel sei nicht gerechtfertigt.
Besonders betonte das Gericht, dass die von der Familie selbst vorgelegten Internetempfehlungen zur Schädlingsbekämpfung auf die Möglichkeit einer gründlichen Reinigung hinwiesen. Diese Ratschläge, die das Entfernen von Nahrungsmitteln, das Absaugen von Möbeln und die Beseitigung von Eiern und Larven mittels gründlicher Reinigung vorschlugen, wurden von der Familie als Beleg dafür angeführt, dass eine fachmännische Schädlingsbekämpfung nötig sei. Allerdings ging aus diesen Tipps nicht hervor, dass die Möbel unbrauchbar und entsorgt werden müssten. Stattdessen empfahlen die Quellen lediglich eine sorgfältige Reinigung – genau das, was auch das Gericht als zumutbar ansah.
Neue Matratzen möglich, aber nicht akut
Das Gericht räumte ein, dass bei den Matratzen möglicherweise eine Ausnahme gemacht werden könnte. Es sei denkbar, dass sich die Kakerlaken in beschädigten Matratzen eingenistet hätten, was eine Neuanschaffung gerechtfertigt hätte. Da die Familie jedoch bereits neue Matratzen selbst gekauft hatte, bestand im Eilverfahren kein akuter Handlungsbedarf. Dieser Punkt könnte im Hauptsacheverfahren noch geprüft werden.
Prozesskostenhilfe abgelehnt
Die Familie stellte einen Antrag auf Prozesskostenhilfe, um gegen die Entscheidung des Landessozialgerichts vorzugehen. Das Gericht lehnte diesen Antrag jedoch ab, da keine hinreichenden Erfolgsaussichten für das Verfahren bestanden. Die Rechtslage sei klar, und es lägen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die eine Neubewertung gerechtfertigt hätten.
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