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Jobcenter-Chaos: Tausende Bürgergeld-Bescheide fehlerhaft

Mann im Anzug wirft rote Würfel

Einem Drittel aller Widersprüche gegen Entscheidungen der Jobcenter wird ganz oder teilweise stattgegeben – eine verheerende Bilanz! Schließlich geht es hier um nicht weniger als das Existenzminimum der Bedürftigen. Die erschreckend hohe Fehlerquote von über 30 Prozent zeigt: Die Jobcenter sind mit der Umsetzung des Bürgergelds völlig überfordert.

Bürgergeld bleibt Bürokratie-Chaos

Digital und unkompliziert: Zwei Begriffe, die im Koalitionsvertrag das Bürgergeld flankieren. Der Aspekt „digital“ wird so langsam umgesetzt, mit App und Co. Bei „unkompliziert“ sind indes Zweifel angebracht. Aus dem „Bürokratiemonster“ Hartz IV ist mit dem Bürgergeld beileibe noch kein für jeden verständliches Konstrukt geworden. Im Gegenteil: Selbst die Jobcenter-Mitarbeiter scheinen mit dem Bürgergeld völlig überfordert zu sein. Eine Fehlerquote von über 30 Prozent aufgrund einer falschen Rechtsanwendung spricht für sich. Und dies sind nur die Fälle, in denen tatsächlich ein Widerspruch gegen einen Bescheid erhoben wurde – die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.

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Zahlen unterstreichen Versagen

Die aktuellen Monatszahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu Widersprüchen und Klagen rund um das Bürgergeld landen glücklicherweise nicht unter Verschluss, sondern sind für jedermann einsehbar. Sie sind das Spiegelbild eines gnadenlosen Versagens, einer maßlosen Bürokratie und leider auch überforderter Mitarbeiter. Die Zahl der Widersprüche summierte sich im September 2024 auf 96.779. Ausgehend von 2.924.133 Bedarfsgemeinschaften in diesem Zeitraum ergibt das eine Quote von 3,3 Prozent. Bei Klagen gegen das Jobcenter standen absolut 95.676 zu Buche (3,3 Prozent).

Horrende Fehlerquote

Taucht man etwas tiefer in die Materie und das Zahlenwerk der Jobcenter ein, findet man auch Hinweise dazu, warum so vielen Widersprüchen stattgegeben oder zumindest teilweise stattgegeben wurde. Von den 9.886 im September 2024 war der Grund 2.969-mal eine fehlerhafte Rechtsanwendung. Bedeutet: Sachbearbeiter der Jobcenter haben sich in über 30 Prozent der Fälle nicht an die Grundlagen des Bürgergeld-Gesetzes (SGB II) gehalten.

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Bürgergeld ist ein Bürokratiemonster

Vorsatz? Wahrscheinlich nicht. Vermutlich ist es schlicht Unwissenheit oder Unkenntnis – was eigentlich nicht sein darf. Denn wer dafür zuständig ist, über das Existenzminimum anderer zu entscheiden, sollte das Bürgergeld-Gesetz aus dem Effeff kennen. Das heißt nicht, jeden Paragrafen auswendig zitieren zu können, sondern zu wissen, wo man im Zweifelsfall nachschlagen oder bei Kollegen nachfragen kann. Auf „gut Glück“ und mitunter auch wider besseres Wissen einen Bescheid zu verschicken und einen Widerspruch zu riskieren, belastet das System, kostet Zeit, Geld und viel schlimmer noch, auch Vertrauen.

Versprechen gebrochen

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat viel versprochen und über Hartz IV geschimpft, es sei zu kompliziert. Doch statt genau dort anzusetzen, verkrustete Strukturen aufzubrechen und für – im wahrsten Sinne des Wortes – Erleichterung zu sorgen, ist nichts passiert. Dabei wurde im Koalitionsvertrag zumindest ein Schritt in diese Richtung fest verankert.

Jobcenter-Personal am Limit

„Eine passgenaue und ganzheitliche Unterstützung erfordert einen ausreichend dimensionierten Betreuungsschlüssel und gut qualifiziertes Personal bei den Jobcentern“,

ist in dem Papier zu lesen. Wäre das Personal gut qualifiziert, gäbe es keine so hohe Fehlerquote. Und von einem ausreichenden Betreuungsschlüssel können viele Jobcenter nur träumen. Dank des strikten Sparprogramms werden weder neue Stellen geschaffen noch vakante Positionen besetzt. Die Personaldecke wird immer dünner und die Belastung immer größer.

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Bedürftige zahlen den Preis

Die Leidtragenden sind hier ganz klar die Bürgergeld Bedürftigen, bei denen der Bescheid fehlerhaft ist und Widerspruch eingelegt oder sogar geklagt werden muss. Mehr Personal, eine bessere Ausbildung und ein neues Regelwerk könnten Abhilfe schaffen. Vielleicht auch die geplante KI für die Bescheide. Nur leider bleibt vieles davon Zukunftsmusik. Oder anders: Die Aktenberge in den Sozialgerichten wachsen weiter.

Titelbild: Gearstd / shutterstock