Das Bürgergeld setzt falsche Anreize. Diese Sorge treibt Politiker und Bürger seit der Einführung des Hartz-IV-Nachfolgers um. Weil die Sozialleistung nach vorherrschender Meinung viel zu hoch ist, habe niemand mehr Lust auf Arbeit. Lieber kündigen, die Füße hochlegen und zwischendurch schwarz malochen. Der Boom bei der Schwarzarbeit mit einem Volumen von 498 Milliarden mag diesen Eindruck verschärfen. Doch entspricht das der Realität? Laufen Menschen vor der Arbeit weg ins Bürgergeld?
Schwarz-Weiß-Malerei
Mit dieser Schwarz-Weiß-Malerei kann man in der Politik punkten. Die Lebenswirklichkeit spiegelt sie nicht wider. Dass man sich damit zudem auf dünnes Eis begibt, musste auch Focus-Autorin Nena Brockhaus erfahren. Sie hat für ihre Kolumne zunächst mit einem Unternehmer gesprochen. Dem seien 70 Mitarbeiter weggelaufen, weil sie mit dem Bürgergeld besser fahren würden. Seine Aussage, „wer arbeiten kann, soll arbeiten und nicht dauerhaft Sozialleistungen empfangen“, bestätigt Nena Brockhaus mit „Recht hat er!“. Die Löhne könnten nicht weiter angehoben werden, weil Dienstleistungen sonst unbezahlbar wären. Überdies bereite die Schwarzgeldkonkurrenz Probleme.
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Bürger sind unzufrieden
Damit hat sie in ein Wespennest gestochen. Die Menschen sind unzufrieden. 2.000 Euro netto für einen (Foto-)Studioleiter – damit ganz sicher kein Job für einen Hilfsarbeiter – seien schlicht zu wenig. Da dürfe man sich nicht wundern, wenn Mitarbeiter kündigen. Auch, dass immer mehr Geld an den Staat geht, nervt die Bürger.
Glücklich mit Bürgergeld?
Ja, Frau Brockhaus hat recht, wenn sie schreibt, dass man sich auch Gedanken darüber machen muss, dass hohe Gehälter höhere Kosten für Produkte und Dienstleistungen nach sich ziehen. Dann aber in einem Rutsch hin zum Bürgergeld und behaupten, Menschen lägen lieber auf der faulen Haut – das passt nicht. Sie hat mit einem Unternehmer gesprochen. Aber auch mit den Angestellten, die gekündigt haben? Sind sie so glücklich mit dem Bürgergeld, wie Frau Brockhaus es darstellt?
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Kein Freifahrtschein fürs Nichtstun
Wer Bürgergeld beantragt, muss die Hosen herunterlassen. Sind die Ersparnisse zu hoch, gibt es keine Cent. Ist die Wohnung zu groß oder zu teuer, folgt der Ärger nach Ablauf der Karenzzeit. Denn für eine als nicht angemessen eingestufte Wohnung wird nur ein Teil der Miete gezahlt. Man ist auch im Bürgergeldbezug zur Mitarbeit gezwungen und kann sanktioniert werden. Das heißt unter Umständen, Computerkurse besuchen zu müssen, obwohl sie nichts mit einem potenziellen Job zu tun haben. Mal eben kündigen: Das hat auch Folgen für die Rente.
Keine Anzeichen für Flucht aus Arbeit
Das sind viele Gründe dafür, dass es seitens der Bundesagentur für Arbeit bislang keine Anzeichen dafür gibt, dass Menschen aufgrund des Bürgergelds in eine Null-Bock-auf-Arbeit-Mentalität verfallen. Das hat BA-Chefin Andrea Nahles schon ein Jahr nach der Einführung des Bürgergelds betont. Wenn nun weiterhin darauf herumgeritten wird, hat das viel mit Stimmungsmache zu tun. Dass es Totalverweigerer gibt, steht außer Frage. Die wenigen, auf die das von Nena Brockhaus als „asozial“ bezeichnete Verhalten zutrifft, reißen andere mit. Die meisten Bürgergeld Bedürftigen wären froh, nicht mehr auf das Jobcenter angewiesen zu sein, sind nur leider krank, müssen jemanden pflegen oder sich um die Kinder kümmern.
+++ Regierung hält Bürgergeld Bezieher für faul
Aus- und Abgaben lasten auf Verbrauchern
Dass nun auch die Zunahme der Schwarzarbeit dem Bürgergeld zugeschrieben wird, macht Betroffenen das Leben nicht leichter. Wie wäre es, wenn man die Scheuklappen öffnet und sich nicht nur aufs Bürgergeld einschießt? Viele Haushalte haben den Gürtel schon bis ans Limit enger geschnallt, trotz Job. Strom, Gas, Lebensmittel, Miete – alles wird teurer, plus eine enorme Steuerlast. Da kommt man schnell auf dumme Gedanken, wird mit etwas gesundem Menschenverstand aber einen großen Bogen ums Bürgergeld machen.
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