Schuld sind immer die Leistungsbezieher. Von wegen. Knapp ein Drittel der Widersprüche, denen stattgegeben wird, basiert auf Fehlern der Jobcenter. Oder anders ausgedrückt: Viele Sachbearbeiter haben keine Ahnung von den Bürgergeld Regeln und arbeiten nicht effizient – dabei geht es um nicht weniger als das Existenzminimum oder schlicht das nackte Überleben der Hilfebedürftigen. Ausbaden müssen das dann auch die Gerichte, bei denen in über einem Drittel der Klagen zugunsten von Betroffenen entschieden wird. Das treibt die Kosten hoch, die in der öffentlichen Debatte stets den Betroffenen angelastet werden.
Existenzen stehen auf dem Spiel
Eine unerklärliche Entscheidung oder ein fehlerhafter Bescheid: Bürgergeld-Bezieher haben in dem Fall das Recht, dem Jobcenter zu widersprechen. Und sollten von diesem Recht auch Gebrauch machen. Das Bürgergeld soll ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern. Da sorgen Fehler, zu geringe oder womöglich ausbleibende Leistungen für leere Kühlschränke und Angst, wie man die nächsten Rechnungen bezahlen soll. Würde ordentlich gearbeitet, gäbe es dieses Problem nicht. Nur leider ist das Wunschdenken.
Lesetipp: Verfassungsgericht: Bürgergeld-Bezieher haben Anspruch auf anwaltliche Hilfe
386.000 Widersprüche
Dazu genügt in Blick in die aktuelle Jobcenter Statistik: Von Januar bis November 2024 wurden von den Jobcentern bundesweit 385.870 Widersprüche bearbeitet. Stattgegeben wurde einem Widerspruch in 101.134 Fällen, teilweise stattgegeben in 23.904 Fällen. Macht in der Summe 125.038. Klären ließen sich die Probleme in 56.784 Fällen durch nachgereichte Unterlagen.
30 Prozent Fehlerquote
Das eigentliche Dilemma ergibt sich mit Blick auf die Bürgergeld Widersprüche, denen aufgrund fehlerhafter Rechtsanwendung stattgegeben wird. 37.201-mal haben Jobcenter in diesem Jahr das geltende Bürgergeld Gesetz falsch umgesetzt. Das entspricht einer unglaublichen Quote von 29,75 Prozent. Die ist schlicht viel zu hoch, zumal es um das Existenzminimum geht und Betroffenen damit unter Umständen der Boden unter den Füßen weggerissen wird.
Lesetipp: Jobcenter darf Bürgergeld nicht mangels unnötiger Unterlagen ablehnen
Keine Verbesserung zu Hartz IV
Im gleichen Erhebungszeitraum des Jahres 2022, also noch zu Zeiten von Hartz IV vor der großen Bürgergeld Reform, wurden insgesamt 361.848 Widersprüche bearbeitet, 99.238 Mal wurde stattgegeben, 22.504 teilweise. Dabei war in 36.533 der Widersprüche fehlerhafte Rechtsanwendung der Jobcenter der Grund, eine Quote von 30,01 Prozent.
Konstantes Problem
Dieser Wert von knapp 30 Prozent hält sich hartnäckig. Bereits 2020 haben wir darüber berichtet (September und August). Geändert hat sich seitdem nichts. Das Versprechen von Bundesminister Hubertus Heil (SPD), mit dem Bürgergeld werde alles besser und weniger kompliziert, entpuppt sich als Augenwischerei. Die Zahl an Widersprüchen und insbesondere jenen, denen ein Fehler des Jobcenters zugrunde liegt, hatte nie Konsequenzen. Statt die Personaldecke aufzustocken oder neue Systeme zu schaffen, spart man die Behörden kaputt.
Viel Arbeit für Gerichte
Dieses Problem zieht weite Kreise, deren Ausläufer sämtliche Instanzen der Gerichte erreichen. Denn wird ein Bürgergeld Widerspruch abgelehnt, besteht die Möglichkeit, gegen das Jobcenter zu klagen. In diesem Jahr wurden 52.281 Fälle bearbeitet. In 33,93 Prozent der Verhandlungen (17.741) wurde der Klage stattgegeben oder zumindest teilweise stattgegeben. Auch diese Zahl unterstreicht, dass in den Jobcentern nicht alles rund läuft und man etwas mehr Wert auf Effizienz sowie eine bessere Schulung der „Fachkräfte“ legen sollte.
Enormes Sparpotenzial
Dadurch ließe sich viel Geld sparen und Ärger vermeiden. Selbst, wenn ein Widerspruch „nur“ 15 Minuten Bearbeitungszeit in Anspruch nimmt, wären es in diesem Jahr bereits über 30.000 Arbeitsstunden, die man sinnvoller hätte einsetzen können – etwa durch die versprochene Beratung auf Augenhöhe.
Titelbild: Firma / shutterstock