Müssen sich Bürgergeld-Empfängern einen Umzug vom Jobcenter vorab genehmigen lassen? Ein Gerichtsurteil zeigt: Das ist nicht zwingend der Fall. Wenn nachvollziehbare Gründe vorliegen, kann der Leistungsträger zur Kostenübernahme verpflichtet sein, auch wenn der Umzug ohne Zusicherung erfolgte. Eine Bürgergeld-Empfängerin klagte erfolgreich gegen die Ablehnung der Übernahme höherer Mietkosten und einer Nebenkostennachzahlung.
Schimmelbefall und lange Wege
Die junge Frau sah sich gezwungen, ihre alte Wohnung zu verlassen. Schimmel hatte nicht nur ihre Gesundheit beeinträchtigt, sondern auch Möbel und persönliche Gegenstände zerstört. Da weder der Vermieter noch das Jobcenter eine Lösung anboten, zog sie aus eigener Initiative und auf eigene Kosten in eine neue Wohnung.
Die neue Wohnung war nur geringfügig teurer – lag aber mit einem monatlichen Mehrbetrag von 30,14 Euro noch innerhalb der örtlichen Angemessenheitsgrenzen des Jobcenters. Gleichzeitig brachte der Umzug einen weiteren Vorteil mit sich: Die Nähe zum Bahnhof sparte der Frau täglich eine Stunde Fahrzeit zur Volkshochschule, wo sie ihren Schulabschluss nachholte.
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Jobcenter verweigert Kostenübernahme
Trotz der schwierigen Umstände weigerte sich das Jobcenter, die höheren Mietkosten der neuen Wohnung zu übernehmen. Auch die Nebekostennachzahlung für die alte Wohnung in Höhe von 163 Euro wurde abgelehnt. Begründung: Der Umzug sei nicht erforderlich gewesen, da die alte Wohnung angemessen war. Außerdem sei der Umzug ohne vorherige Genehmigung erfolgt. Nach Ansicht des Jobcenters wären Nachforderungen nur dann zu übernehmen, wenn der Umzug mit einer Zusicherung oder im Rahmen einer Kostensenkungsaufforderung stattgefunden hätte – was hier nicht der Fall war. Nach erfolglosen Widerspruchsverfahren zog die Frau vor Gericht.
Sozialgericht: Jobcenter argumentiert an der Realität vorbei
Vor dem Sozialgericht argumentierte die Klägerin, dass der Schimmel in der alten Wohnung eine erhebliche Gesundheitsgefahr darstellte und ihr Eigentum beschädigte. Zudem hätte der Umzug einen weiteren Vorteil: Die neue Wohnung, wenn auch etwas teurer, habe ihre tägliche Fahrzeit zur Volkshochschule durch die Nähe zum Bahnhof um eine Stunde reduziert.
Das Jobcenter hielt an seiner Argumentation fest: „Zu einer solchen [Kostensenkungsobliegenheit] habe schon deshalb auch gar kein Anlass bestanden, weil die Verbrauchskosten in der bisherigen Wohnung angemessen gewesen seien.“ Auch die Betriebskostennachforderung sei nicht zu erstatten, da sie erst nach dem Umzug fällig wurde.
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Umzugssperre nicht mit SGB II vereinbar
Das Sozialgericht widersprach entschieden. „Ein Umzug ist (auch) dann erforderlich, wenn er zwar nicht ‚zwingend notwendig‘ war, jedoch ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund für den Wohnungswechsel vorlag, von dem sich auch ein Nichthilfebedürftiger leiten lassen würde“. Bürgergeld-Empfänger dürften nicht gezwungen werden, in unzumutbaren Wohnsituationen zu verbleiben. Die Argumentation des Jobcenters laufe auf eine „faktische Umzugssperre“ hinaus, was weder mit den Zielen des SGB II noch mit dem Grundrecht auf Freizügigkeit vereinbar ist.
Auch die Betriebskostennachzahlung für die alte Wohnung müsse übernommen werden, urteilte das Gericht. „Nachforderungen, die nach regelmäßiger Übernahme der Nebenkostenvorauszahlungen der jeweiligen Monate entstehen, gehörten grundsätzlich zum tatsächlichen, aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat.“ Das Sozialgericht stellte fest, dass das Jobcenter die Nachforderung zweifellos übernommen hätte, wenn die Klägerin weiterhin in der alten Wohnung gelebt hätte. Der Umzug dürfe nicht dazu führen, dass existenzsichernde Leistungen verweigert werden. Das Jobcenter wurde verpflichtet, die höheren Mietkosten sowie die Nachforderung zu übernehmen. (Az.: S 40 AS 1945/17)
Landessozialgericht bestätigt Urteil
Das Jobcenter legte Berufung ein – ohne Erfolg. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wies die Berufung einstimmig zurück und stützte sich dabei auf die umfassende Begründung des Sozialgerichts. Es bestätigte, dass ein Umzug auch dann als erforderlich angesehen werden kann, wenn keine Kostensenkungsaufforderung vorliegt und der Umzug ohne Genehmigung erfolgte. „Der Schimmelbefall in der alten Wohnung sowie die deutliche Fahrzeitverkürzung durch die neue Wohnung seien gewichtige Argumente, die den Umzug im konkreten Fall rechtfertigten. Diese Gründe würden auch einen Nichthilfebedürftigen zu einem vergleichbaren Schritt bewegen.“
Auch die Betriebskostennachforderung sei erstattungsfähig, da sie während eines durchgehenden Leistungsbezugs fällig wurde. „Die Verbindung zwischen der Nachforderung und dem existenzsichernden Bedarf bestehe, unabhängig davon, dass die Wohnung bei Fälligkeit nicht mehr bewohnt wurde.“ Das Gericht betonte ausdrücklich, dass es den Zielen des SGB II widerspreche, Bürgergeld-Empfängern faktisch eine Umzugssperre aufzuerlegen oder ihnen die Freizügigkeit zu erschweren. (L19 AS 2352/19)
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