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Wie ein Eingangsstempel beim Bürgergeld zum Fallstrick wird

Hand stempelt ein Dokument

Einen Stempel auf einen Brief zu klatschen und sich darauf zu versteifen, nur das dort genannte Datum ist rechtlich verbindlich: So funktioniert das nicht. Auch nicht beim Jobcenter, wenn es um so wichtige Dinge wie den Antrag auf Bürgergeld oder einen Widerspruch geht. Erweist sich die Postorganisation der Behörde als fehleranfällig und können Betroffene die Ausführungen der Mitarbeiter widerlegen, zieht das Jobcenter den Kürzeren – wie in dem Verfahren, das vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg verhandelt wurde.

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Bürgergeld-Antrag wurde abgelehnt

Der Fall erinnert an eine Verkettung unglücklicher Umstände. Der Bürgergeld Bedürftige hatte bis Juni 2022 Leistungen nach dem SGB II erhalten. Ihm sei kein Weiterbewilligungsantrag zugesandt worden, erklärte er später. Daher beantragte der Betroffene am 7.10.2022 die Weiterbewilligung des Bürgergelds. Der Leistungsträger antwortete mit einer Checkliste und bat um die entsprechenden Unterlagen. Da nur eine Bescheinigung der Krankenkasse vorgelegt wurde, lehnte das Jobcenter den Antrag ab. Das Schreiben dazu stammte vom 9. Dezember 2022. Zugestellt wurde es laut Posturkunde am 20. Dezember 2022.

Widerspruch verspätet

Das Zustellungsdatum ist maßgeblich, falls man gegen den Bescheid vorgehen möchte. Ab diesem Tag kann binnen eines Monats Widerspruch erhoben werden. In diesem Fall trägt der Widerspruch des Bürgergeld Bedürftigen jedoch einen Posteingangsstempel vom 23. Januar 2023. Damit sei der Widerspruch, so das Jobcenter, zu spät erfolgt. Das Schreiben hätte spätestens am 20. Januar 2023 eingereicht werden müssen. Kurzum: Das Jobcenter warf dem Betroffenen vor, nicht rechtzeitig reagiert zu haben.

Sozialgericht gibt dem Jobcenter recht

Dagegen klagte der Betroffene vor dem Sozialgericht Reutlingen (S3 AS 542/23). Er führte aus, er sei am 20. Dezember in Begleitung zum Jobcenter gegangen. Dort habe er den Brief nicht persönlich abgeben dürfen, sondern sollte ihn in den Briefkasten werfen. Das Gericht bat um den Namen der Zeugin. Doch der Brief mit den Daten seiner Begleitung, den der Kläger persönlich im Gericht abgab, kam nie an der richtigen Stelle an. Da das Gericht nicht weiter ermitteln konnte, wurde die Klage abgewiesen.

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Pflichtverletzung beim Sozialgericht

Im Rahmen der Berufung vor dem Landessozialgericht wurde der Vorfall noch einmal von Anfang an aufgerollt (L2 AS 3159/24). Der Bürgergeld Bedürftige wiederholte, er sollte den Brief in einem vom Jobcenter zur Verfügung gestellten Umschlag in den Außenbriefkasten werfen. Die Begleitung bestätigte, dass der Mann einen Briefumschlag in der Hand hatte und ihn eingeworfen habe. Diesen Aussagen schenkte das Gericht Glauben und warf dem Sozialgericht eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht vor – insbesondere, weil die schriftliche Benennung der Zeugin nicht zur Kenntnis genommen worden war.

Kein unerschütterlicher Beweiswert

Auch für das Jobcenter wurde es vor dem Landessozialgericht unangenehm. Das Schreiben sei fristgerecht eingegangen. Dem Eingangsstempel komme kein „unerschütterlicher Beweiswert“ zu. Auch, weil kein Handzeichen eines Mitarbeiters erkennbar sei. Überdies verfüge das Amt nicht über einen Nachtbriefkasten, der sicherstelle, dass Briefstücke mit dem tatsächlichen Einwurf-Datum gestempelt werden. Vielmehr würden Schreiben, die am 20., 21., 22 und am 23. Januar bis 7 Uhr im Postkasten landen, allesamt mit dem 20. Januar gestempelt. „Die vom Beklagten angewandte Verfahrensweise erbringt daher nicht in jedem Fall den Nachweis für den Zeitpunkt des Eingangs“, so die Richter.

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Fehleranfällige Abläufe

Überdies mangele es an einer umfassenden Schriftfassung des Amtes zu Behördenabläufen. Aktuell würden in der Poststelle zwar Dienstanweisungen der Agentur für Arbeit umgesetzt. Für den im Fall relevanten Zeitraum sei dies nicht belegt. Das hat vor Gericht auch ein Mitarbeiter der Poststelle bestätigt, der ausführlich berichtete, wie die Briefe angenommen und verteilt werden. Demnach werde der Posteingang zumeist nicht in der Eingangsstelle, sondern verzögert nach der Weiterleitung von der zuständigen Stelle dokumentiert. Außerdem könnten bei der Stempelung Fehler auftreten. Deshalb und weil die Aussagen des Klägers und der Zeugin stimmig waren, muss der Widerspruch erneut beschieden werden.

Titelbild: Andrey_Popov / shutterstock