Zweieinhalb Jahre nach seiner Einführung steht das Bürgergeld vor einer tiefgreifenden Reform. Mit dem erfolgreichen Abschluss der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD am 9. April 2025 ist der politische Kurs für die kommenden Jahre abgesteckt: Die neue Bundesregierung unter der voraussichtlichen Führung von Friedrich Merz (CDU) plant eine Rückkehr zu einem strikteren Sozialstaatsmodell. Ein zentrales Projekt: Die Abschaffung des Bürgergelds und die Einführung einer „Neuen Grundsicherung“.
Neuer Name, alte Prinzipien
Im Zentrum der Koalitionsvereinbarung, die den Titel „Verantwortung für Deutschland“ trägt, steht unter anderem eine weitreichende Reform des 2. Sozialgesetzbuches (SGB II). Das Bürgergeld wird abgeschafft und unter dem Begriff „Neue Grundsicherung“ neu organisiert. Diese Bezeichnung ist nicht neu – sie knüpft an frühere Formulierungen in der Sozialgesetzgebung an, wird aber nun auch kommunikativ und politisch in den Vordergrund gerückt.
Die Umbenennung bedeutet nicht nur einen symbolischen Bruch mit dem bisherigen Konzept. Sie hat auch praktische Auswirkungen: Die Anpassung von Gesetzestexten, Formularen, Software und Kommunikationsmaterialien wird den Staat mehrere Millionen Euro kosten. Der politische Hintergrund: Der Begriff „Bürgergeld“ sei laut CDU zu stark mit einem bedingungslosen Wohlfahrtsanspruch verknüpft. Künftig soll das Prinzip „Fördern und Fordern“ wieder stärker in den Vordergrund rücken.
Politischer Fahrplan
Der Koalitionsvertrag wurde am 9. April 2025 abgeschlossen. Die SPD führt noch bis Ende April eine Mitgliederbefragung durch. Die Wahl des Bundeskanzlers ist für Anfang Mai angesetzt. Friedrich Merz wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die neue Regierung anführen. Die Sozialpolitik soll sich künftig stärker an Leistungsprinzipien und Mitwirkungspflichten orientieren.
Inhaltliche Kernpunkte der Neuen Grundsicherung
Rückkehr zur nachlaufenden Regelsatz-Berechnung
Eine der zentralen Änderungen betrifft die Berechnung der Regelsätze. Das Bürgergeld hatte die Fortschreibung der Leistungen an die Inflation auf eine vorausschauende Grundlage gestellt – eine wichtige Maßnahme, um Preissteigerungen zeitnah auszugleichen.
Die „Neue Grundsicherung“ hingegen kehrt zur nachlaufenden Anpassung zurück: Veränderungen der Lebenshaltungskosten werden erst zeitverzögert bei der jährlichen Fortschreibung der Regelsätze berücksichtigt. Bei unerwartet hoher Inflation führt das zu realen Kaufkraftverlusten – die Bedürftige zunächst hinnehmen müssen und – wenn überhaupt – erst im Nachhinein ausgeglichen bekommen. In der Vergangenheit hatte man sich in solchen Situationen symbolpolitisch geringer Pauschalzahlungen bedient, die Bedürftigen kurzfristig aus der Notlage helfen sollten.
Neue Berechnung des Bürgergeld Regelsatzes bringt sozialen Rückschritt
Wegfall der Karenzzeit
Die Karenzzeit, in der Vermögen und Wohnkosten nicht überprüft wurden, soll entfallen. Leistungsberechtigte müssen damit künftig ihr Vermögen früher verwerten und Wohnkosten werden unmittelbar auf Angemessenheit geprüft. Die Schutzfunktion für Menschen in kurzfristiger Notlage wird abgeschwächt.
Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs
Der Vermittlungsvorrang wird wieder eingeführt. Erwerbsfähige Leistungsbeziehende sollen jede zumutbare Arbeit annehmen, unabhängig von Qualifikation oder vorheriger Tätigkeit. Das Prinzip gilt wieder uneingeschränkt.
Mit der Grundsicherung kommt der Vermittlungsvorrang zurück
Härtere Sanktionen und Kontrolle
Die Reform sieht tiefgreifende Änderungen im Sanktionsregime vor. Die mit dem Bürgergeld eingeführte sanktionsfreie Vertrauenszeit zu Beginn des Leistungsbezugs entfällt. Verstöße gegen Mitwirkungspflichten können sofort geahndet werden. Zudem sollen Pflichtmaßnahmen – wie gemeinnützige Arbeit, Schulungen oder Coachings – verbindlich ausgestaltet werden. Wiederholte Verweigerung kann zum vollständigen Wegfall der Leistungen führen.
Darüber hinaus sollen die Jobcenter mit erweiterten Kontrollinstrumenten arbeiten. Geplant sind häufigere persönliche Vorsprachen, automatisierte Abgleiche und intensivere Nachverfolgung. Die Leistungsgewährung wird stärker überwacht als bisher.
Hinzuverdienstregelungen – Mögliche Erleichterungen für Aufstocker
Im Rahmen der Neuausrichtung der Grundsicherung könnten auch die Hinzuverdienstregelungen überarbeitet werden. Ziel solcher Anpassungen wäre es, Erwerbstätigkeit künftig stärker zu belohnen und die sogenannte Transferentzugsrate zu senken. Diese beschreibt, wie viel von einem zusätzlich verdienten Euro durch die Anrechnung auf die Grundsicherung faktisch verloren geht. Aktuell liegt dieser Effekt für viele Erwerbstätige im Leistungsbezug so hoch, dass sich zusätzliche Arbeit finanziell nur begrenzt auszahlt. Allerdings wurde dieses Thema bereits vor der Einführung des Bürgergeldes in den Raum geworfen, dennoch gab es keine essentiellen Veränderungen für Aufstocker.
Quellen: