Ablehnung ALG II - Grundsicherung und Rente

  • Hallo Leute,

    mein Vater hat folgendes Problem:

    Vor zweieinhalb Jahren ist er sehr schwer erkrankt und hatte ab dann mehrere Operationen und darauf folgende Neuerkrankungen. Er bezog die letzten zwei Jahre daraufhin ALG2, da er vorher selbständig war und ab dann nicht mehr arbeitsfähig war. Auf Anweisung des Jobcenters musste er auch zu einer Aerztekommission, die ihm bescheinigte, daß er nicht mehr als 3 Stunden pro Tag arbeiten kann. Das Jobcenter meinte daraufhin, er solle Erwerbsminderungerungsrente und ggf. aufstockende Sozialhilfe beantragen. Was er auch tat.

    Die Erwerbminderungsrente wurde nun abgelehnt, mit der Begründung, daß er in den letzten 5 Jahren keine Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt habe, was ihm auch nicht möglich war, aufgrund seines geringen Einkommens in seiner Selbständigkeit.

    Das Sozialamt hat eine Bewilligung von Leistungen auch abgelehnt, da er keinen ausreichenden Nachweis seiner Erwerbsunfähigkeit vorlegen kann. Die Feststellung vom Jobcenter wird nicht akzeptiert und er müsse zur Rentenkasse um diese gesondert feststellen zu lassen. Dieser Vorgang würde ca. ein Jahr dauern.

    Das Jobcenter hat schriftlich nun mit Wirkung zum 31.12. die Zahlung von ALG2 beendet, der er nicht mehr vermittelbar ist. Mein Vater ist jetz 62 Jahre alt und wird im Juni nächsten Jahres 63. Er hat auch eine aktuelle Behinderungsstufe von 50%.

    Meine Frage ist nun, wo er seine Grundsicherung herbekommt, da er jetzt gar nichts mehr hat, auch keine Rücklagen und am 3. Januar ins Krankenhaus geht, aber in seine Krankenkasse nichts mehr eingezahlt wird. Als Familie werden wir ihn natürlich soweit unterstützen, damit er nicht obdachlos wird, oder hungern muss. Nächste Woche wird er nochmal zum Jobcenter gehen und versuchen, einen höheren Entscheidungsträger zu sprechen. Letzte Woche konnte ihm keiner weiterhelfen.

    Vielen Dank schonmal an Euch für eventuelle Hilfe, oder Anregungen.
    Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch

  • Antrag aud Hartz4 stellen, und zwar sofort! NICHT BILLIG ABSPEISEN lassen!

    Nur damit kommt Er in den "Genuß" von Hartz4, und damit in die Krankenkasse.

    Das scheint erst mal das Wichtigste zu sein.
    Sollten mehr fragen kommen hier posten. Insgesamt lässt sich schlecht ein "Standartrezept" auszudtellen. Jeder ist individuell, so viel dazu.

  • Den Antrag hatte er ja schon im November gestellt. Der wurde ja jetzt abgelehnt. Wir werden erstmal Widerspruch gegen die Ablehnung einreichen. Die Bearbeitung dauert aber bestimmt auch ne Weile...

    Danke für die schnelle Antwort

  • Hallo Barloom!

    Welches Amt für Deinen Vater zuständig ist, richtet sich danach, ob Dein Vater erwerbsfähig ist oder nicht.

    Nur, wenn rechtlich verbindlich festgestellt wurde, dass Dein Vater arbeitsmarktunabhängig für länger als sechs Monate voll erwerbsgemindert ist, ist das Sozialamt zuständig. Es gewährt dann Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des SGB XII (Sozialhilfe, entweder Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung).

    Die Feststellung der Erwerbsfähigkeit bzw. die Einleitung des Verfahrens zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit obliegt nicht Deinem Vater, sondern den Behörden.

    Solange nicht rechtlich verbindlich über Deine Erwerbsfähigkeit entschieden wurde, ist das Jobcenter für Deinen Vater weiter zuständig und muss bis zur Übernahme durch das Sozialamt Leistungen erbringen.

    Ob diese Feststellung bereits getroffen wurde, ist nach Deiner Schilderung nicht klar.

    Gleichwohl:

    Beide für Deinen Vater in Betracht kommenden Gesetze, also sowohl das SGB II als auch das SGB XII, enthalten zur Feststellung der Erwerbs(un)fähigkeit entsprechende Regelungen.

    Wie im Falle von Erwerbsminderung des Leistungsberechtigten, der wie Dein Vater im ALG 2-Bezug steht zu verfahren ist, regelt § 44a SGB II. Dort sind das Procedere zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit und die sich daraus ergebenden Konsequenzen ziemlich detailliert geregelt.

    Die "Ärztekommission", bei der sich Dein Vater vorstellen musste, dürfte der "Ärztliche Dienst" der Agentur für Arbeit gewesen sein. Die Agentur für Arbeit entscheidet darüber, ob Arbeitssuchende, also Bezieher von ALG II, erwerbsfähig sind. Die Agentur bedient sich zu Feststellung der Erwerbsminderung ihres Ärztlichen Dienstes. Dies geschieht auf Ersuchen des Jobcenters.

    Stellt die Agentur für Arbeit fest, dass bei einem Arbeitssuchenden unabhängig vom Arbeitsmarkt eine volle Erwerbsminderung vorliegt, begründet dies grundsätzlich die weitere Zuständigkeit des Sozialamtes. In allen anderen Fällen von Erwerbsminderung, z. B. teilweiser Erwerbsunfähigkeit, bleibt das Jobcenter zuständig.

    Die Feststellung der vollen Erwerbsunfähigkeit teilt das Jobcenter dem Sozialamt, das für Leistungen nach dem SGB XII (Sozialhilfe) zuständig ist, mit. Das Sozialamt kann dann der Feststellung der Erwerbsunfähigkeit widersprechen.

    Widerspricht das Sozialamt der Feststellung der arbeitsmarktunabhängigen, für mehr als sechs Monate andauernden vollen Erwerbsminderung nicht, ist es an die Entscheidung der Arbeitsagentur gebunden. Es kann sich dann gegenüber Deinen Vater nicht darauf berufen, die Feststellungen der Arbeitsagentur seien nicht ausreichend. Das muss es schon gegenüber dem Jobcenter tun und Widerspruch einlegen.

    (Im Übrigen ist es schlicht Unfug, wenn Deinem Vater von dem Sozialamt die Auskunft erteilt worden sein sollte, dass er bei dem Rentenversicherungsträger die Erwerbsunfähigkeit feststellen lassen müsse. Das kann Dein Vater nämlich gar nicht. Die einzige Möglichkeit für Deinen Vater wäre, einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente zu stellen. Der Antrag wird, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, aber ohne Prüfung, ob überhaupt eine Erwerbsminderung vorliegt, abgelehnt. So ist es ja auch bei Deinem Vater geschehen. Eine isolierte Feststellung der Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger können nur die Sozialbehörden veranlassen. Das ist in § 44a SGB II bzw. - für das Sozialamt - in § 45 SGB XII geregelt. Im Falle Deines Vaters kommt ein Ersuchen des Sozialamtes aber nicht in Betracht, weil dafür in den meisten Fällen, auf jeden Fall aber während des ALG II-Bezuges, das Jobcenter zuständig ist.)

    Gewöhnlich widerspricht das Sozialamt der Feststellung der Arbeitsagentur jedoch.

    Dann richtet das Jobcenter ein Ersuchen an den Rentenversicherungsträger, der sodann verbindlich - ggf. nach erneuter ärztlicher Untersuchung - feststellt, ob, in welchem Umfang und für welche Dauer Erwerbsminderung vorliegt. An diese Feststellung sind alle Beteiligten gebunden.

    Zugleich mit der Mitteilung über die Entscheidung der Arbeitsagentur über die Feststellung der vollen EU meldet das Jobcenter einen Erstattungsanspruch gegen das Sozialamt bei dem zuständigen Sozialamt an. Dadurch ist sichergestellt, dass das Sozialamt die Aufwendungen des Jobcenters für Deinen Vater ab dem Zeitpunkt der Einlegung des Widerspruches gegen die Entscheidung der Arbeitsagentur tragen, also erstatten muss, falls der Rentenversicherungsträger die Entscheidung der Arbeitsagentur über die Erwerbsfähigkeit bestätigen sollte. Deinen Vater tangiert dies aber nicht. Das ist eine rein verwaltungsinterne Sache.

    Wie das Verfahren bei Deinem Vater gelaufen ist, kann ich nicht beurteilen.

    Dein Vater sollte deshalb wie folgt vorgehen:

    Beim Jobcenter, möglichst mit Begleitung, vorsprechen und versuchen, die Sache zu klären.

    Gab es eine Feststellung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit? Wie lautet das konkrete Ergebnis? (Beides müsste Deinem Vater eigentlich mitgeteilt ("eröffnet" worden sein!)

    Wurde das Ergebnis dem Sozialamt mitgeteilt? Wenn nein, JC vorerst weiter zuständig.

    Hat das Sozialamt widersprochen? Wenn nein: Sozialamt zuständig!

    Wenn ja: Hat das Jobcenter ein Ersuchen zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit an den Rentenversicherungsträger gerichtet? Liegt das Ergebnis bereits vor? Wie lautet das Ergebnis? Bestätigt es die Feststellung der Arbeitsagentur? Dann ist das Sozialamt zuständig? Wenn nein, bleibt es bei der Zuständigkeit des Jobcenters.

    Der Widerspruch gegen die Entscheidung ist eine gute Idee! Sicher ist sicher.

    Weise das Jobcenter auf § 16 SGB I hin: Es soll, wenn es sich nicht zuständig fühlt, Deinen Antrag vom November an das zuständige Sozialamt weiterleiten! Auch wenn die zwei Wochen-Frist zur Prüfung der Zuständigkeit bereits abgelaufen ist.

    Beim Sozialamt sollte Dein Vater auch vorsprechen. Im Grunde ist dort das Gleiche zu klären! Ist dort eine Mitteilung des JC eingegangen und wurde der Feststellung widersprochen? Stellt dort vorsorglich ebenfalls einen Antrag. Wenn "nur" Hilfe zum Lebensunterhalt in Betracht kommt (weil EU nicht von Dauer), bestünde der Anspruch auf Sozialhilfe ab Kenntnis der Sozialbehörde von der Notlage Deines Vaters, also ab dem Zeitpunkt der Vorsprache. Besteht die volle EU auf Dauer, ist die Grundsicherung die richtige Leistung. Die wird nur auf Antrag gewährt. Dann besteht darauf, dass der Tag der ersten Vorsprache als Antrag gewertet wird (Meistbegünstigungsprinzip). Allerdings müsste, wenn beim Sozialamt eine Mitteilung des JC eingegangen sein sollte, dort auch ein von Deinem Vater bei der Eröffnung des Ergebnisses der Feststellung der Arbeitsagentur unterzeichneter formloser Antrag vorgelegt worden sein.

    Eines ist aber klar: Eine Behörde muss jetzt zahlen. Ein Streit zwischen den Behörden kann nicht zu Lasten Deines Vaters gehen. Dein Vater sollte bei beiden Behörden, auf jeden Fall aber beim JC einen Antrag auf vorläufige Leistungen stellen. Solche Leistungen muss der erstangegangene Leistungsträger auf Antrag erbringen, auch wenn er nicht zuständig sein sollte (er kann und sollte es aber auch ohne Antrag tun!), § 43 SGB I. Er muss dann die Frage der Zuständigkeit mit der anderen Behörde klären und kann, falls er tatsächlich nicht zuständig sein sollte, bei dem zuständigen Träger die Erstattung der Aufwendungen verlangen. Erstangegangene Behörde ist im Zweifel das JC.

    Wenn alle Stricke reißen, bleibt Euch nur der Weg, sofort einen Eilantrag auf Sozialleistungen bei dem zuständigen Sozialgericht zu stellen. Antragsgegner ist im Zweifel das JC. Dazu braucht ihr keinen Anwalt. Sprecht beim zuständigen Sozialgericht auf der Geschäftsstelle mit allen zur Verfügung stehenden Unterlagen vor. Oder eben einen Anwalt aufsuchen.

    Gruß
    P.

    2 Mal editiert, zuletzt von Phillip.1977 (28. Dezember 2016 um 08:43)

  • Hallo Phillip,

    tausend Dank für Deine überaus umfassende und ausführliche Antwort. Auch für Deine Mühe, die Du Dir mit den Gestzestexten gemacht hast. Das hilft uns schon sehr weiter und wir können es hoffentlich heute beim Jobcenter mit verwenden, falls es da Unklarheiten seitens des Bearbeiters geben sollte. Wir hoffen, es wendet sich alles zum Guten. Mein Vater ist gesetzlich krankenversichert und könnte dort sicherlich auch telefonisch eine Verschiebung des Zahlungstermins erreichen, oder?

    Beste Grüße Barloom

  • 1. Der KV-Beitrag für den Monat Januar 2017 ist - bei freiwilliger Versicherung in der GKV - erst am 15. Februar 2017 fällig!

    2. Besteht eine Pflichtversicherung in der GKV ist Fälligkeitstermin der drittletzte Bankarbeitstag des Beitragsmonats.

    Beim Jobcenter wird man für die Zeit des Leistungsbezuges pflichtversichert. Es gilt dann also 2.

    (Leistungsbezieher nach dem SGB XII werden anders als ALG II-Bezieher nicht aufgrund des Leistungsbezuges pflichtversichert. Die Versicherungspflicht richtet sich vielmehr allein nach den krankenversicherungsrechtlichen Bestimmungen. Es müssen deshalb (von der Krankenversicherung) die Voraussetzungen der Versicherungspflicht bzw -möglichkeit in jedem Fall individuell geprüft werden. Auch nach Aussscheiden aus dem ALG II-Leistungsbezug. Denn die Arbeitslosigkeit ist für vor der Arbeitslosigkeit nicht gesetzlich Krankenversicherte nicht die Eintrittspforte zurück in die gesetzliche Krankenversicherung. Sobald Dein Vater aus dem ALG II-Bezug ausscheidet, muss der Versicherungsstatus unbedingt geprüft werden: Pflichtmitgliedschaft in der GKV, Freiwillige Mitgliedschaft in der GKV oder Privatversicherung. Bei jeder Versicherungsart bestehen unterschiedliche Fälligkeitstermine für die Beitragszahlungen. Mir ist beim Lesen Deines Beitrages nicht ganz klar, ob sich der Status "gesetzlich krankenversichert" aus dem ALG II-Bezug ergibt oder ob bereits vor der Arbeitslosigkeit eine (freiwillige?) Krankenversicherung in einer Gesetzlichen Krankenversicherung bestand.)

    Gruß
    P.

    2 Mal editiert, zuletzt von Phillip.1977 (4. Januar 2017 um 10:15)

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