Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten bei Bezug von ALG II teilweise verfassungswidrig
Alles anzeigenDer Gesetzgeber kann die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz binden,
solche Leistungen also nur dann gewähren, wenn Menschen ihre Existenz nicht selbst sichern können. Er kann
erwerbsfähigen Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II auch zumutbare Mitwirkungspflichten zur
Überwindung der eigenen Bedürftigkeit auferlegen, und darf die Verletzung solcher Pflichten sanktionieren,
indem er vorübergehend staatliche Leistungen entzieht. Aufgrund der dadurch entstehenden außerordentlichen
Belastung gelten hierfür allerdings strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit; der sonst weite Einschätzungsspielraum
des Gesetzgebers ist hier beschränkt. Je länger die Regelungen in Kraft sind und der Gesetzgeber damit deren Wirkungen
fundiert einschätzen kann, desto weniger darf er sich allein auf Annahmen stützen. Auch muss es den Betroffenen möglich
sein, in zumutbarer Weise die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Leistung nach einer Minderung wieder zu erhalten.
Mit dieser Begründung hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil zwar die Höhe
einer Leistungsminderung von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs bei Verletzung bestimmter Mitwirkungspflichten nicht
beanstandet. Allerdings hat er auf Grundlage der derzeitigen Erkenntnisse die Sanktionen für mit dem Grundgesetz unvereinbar
erklärt, soweit die Minderung nach wiederholten Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres die Höhe von 30 % des
maßgebenden Regelbedarfs übersteigt oder gar zu einem vollständigen Wegfall der Leistungen führt. Mit dem Grundgesetz
unvereinbar sind die Sanktionen zudem, soweit der Regelbedarf bei einer Pflichtverletzung auch im Fall außergewöhnlicher
Härten zwingend zu mindern ist und soweit für alle Leistungsminderungen eine starre Dauer von drei Monaten vorgegeben
wird. Der Senat hat die Vorschriften mit entsprechenden Maßgaben bis zu einer Neuregelung für weiter anwendbar erklärt.
Sachverhalt: ..........................
Dieses Thema wird aktualisiert, sobald erste Einschätzungen von Tacheles-Sozialhilfe und
Anderen vorliegen. Die Sanktionen sind nur teilweise verfassungswidrig.
Pressestimmen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, was die Sanktionen für teilweise
verfassungswidrig erklärt hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, inwieweit Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger
rechtmäßig sind. Harald Thomé vom Verein Tacheles erklärt, warum das Urteil wegweisend
sein kann.
Interview von Hans von der Hagen mit Harald Thomé vom Verein Tacheles
Hartz-IV-Empfängern die Leistung zu kürzen, ist teilweise verfassungswidrig. Ein moderner
Sozialstaat sollte die Menschen fördern und motivieren, statt sie zu bestrafen.
Ein Kommentar von Tina Groll
Die Verfassungsrichter haben entschieden: Ja, der Staat darf Hartz-IV-Empfänger zu
Erwerbsarbeit oder Schulungen zwingen - aber dabei nicht über die Stränge schlagen.
Was heißt das konkret?
Reaktionen aus der Bundesregierung nach dem Urteil:
Dem Spruch der Richter sollen schnell Taten folgen: Arbeitsminister Hubertus Heil begrüßt
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger. Aus
der Wirtschaft gibt es dagegen Kritik.