Hallo,
auf diesem Wege möchte ich — für einen Freund — nach hilfreichen Tips und Hinweisen (keine Rechtsberatung!) fragen. Vielen Dank für Antworten schon vorab.
Situation:
Er — seit mehr als 10 Jahren Soloselbstständiger mit einem Wanderlager — ist seit mehr als 20 Jahren immatrikulierter Student. Der Studiengang ist vor 15 Jahren geschlossen worden, d.h. es werden in diesen Studiengang keine Studenten mehr immatrikuliert. Die für diesen Studiengang relevanten Lehrstühle sind über etliche Jahre hinweg nicht besetzt gewesen, so dass eine Prüfung zwar formal an anderen Lehrstühlen hätte erfolgen können, jedoch nur unter sehr zweifelhaften Bedingungen. Also lief die Immatrikulation über die Jahre weiter, denn der Studienabschluss war nicht relevant für den Eintritt in die Erwerbsarbeit. Nach Neubesetzung der relevanten Lehrstühle wurde eine Abschlussprüfung vereinbart, diese — vor — den ersten SARS-CoV-2-"Maßnahmen" angemeldet.
Einer der gewünschten Effekte der SARS-CoV-2-"Maßnahmen" im März 2020 war es, Messen und Verkaufsveranstaltungen zu untersagen. Nicht den Messeausstellern und Verkäufern direkt, sondern den Betreibern der Veranstaltungsorte. Es gibt deshalb keine Anordnung bzw. Verfügung, welche den Betrieb des bisherigen Reisegeschäftes — direkt — verbietet. Es gibt jedoch einfach keine Flächen mehr zu mieten, auf welchen die Waren angeboten werden könnten bzw. es werden die Veranstaltungen nicht mehr durchgeführt, im Rahmen derer die Waren bislang angeboten wurden.
Ein Vertrieb der Waren über Fernhandel ist nicht möglich, da die Lieferanten dieser Waren dies versagen bzw. der bisherige Direktvertrieb auf Messen/bei Veranstaltungen ein Ergänzungsgeschäft für die Lieferanten waren, die ihrerseits ein Versand- und Filialgeschäft betreiben.
Die Rechtskette ist deshalb hier: lokale Untersagung von Veranstaltungen => keine Vermietung von Flächen => kein Betrieb eines Wanderlagers. Es gibt kein direktes Verbot einer Erwerbsarbeit, die bisherige Erwerbsarbeit ist jedoch effektiv unterbunden (was erklärtes Ziel "der Maßnahmen" war).
Unmittelbare Folge dieses Wegfalls der bisherigen Erwerbsarbeit ist die wirtschaftliche Hilfsbedürftigkeit. Keine Arbeit, keine Einnahmen.
Also Antrag auf ALG II gestellt.
Das JobCenter verweigert die Leistungen mit der Begründung, der Antragsteller sei "Vollzeitstudent". Als solcher hätte er — dem Grunde nach — Anspruch auf Leistungen nach BAföG. Das JobCenter erkennt an, dass dieser Anspruch auf Leistungen nach BAföG nur dem Grunde nach besteht und im konkreten Fall — Überschreiten der Altersgrenze und Überschreiten der Studienhöchstdauer — keine Leistungen in Anspruch genommen werden können.
Hintergrund: Der Gesetzgeber möchte vermeiden, dass ALGII-Leistungsbezieher eine Ausbildung aufnehmen, mit Hilfe derer sie sich den Vermittlungsversuchen der JobCenter entziehen könnten, weil der Abbruch einer solchen Ausbildung eine unbillige Härte wäre. ALGII-Bezieher könnten, um nicht zwangsvermittelt zu werden, eine Ausbildung beginnen, deren Abschluss sie auf den Tag des jüngsten Gerichts verschieben. Das JobCenter hätte aber keine Möglichkeit, den Abbruch einer solchen Scheinausbildung zu verlangen. Deshalb: Keine Finanzierung einer Ausbildung durch ALGII-Leistungsbezug (es sei denn, das JobCenter vermittelt diese Ausbildung im Rahmen anderer Maßnahmen). Wenn die eigenen Mittel nicht ausreichen, um die Ausbildung zu finanzieren, dann muss diese abgebrochen werden. Nach Ende der Hilfsbedürftigkeit bzw. des ALGII-Leistungsbezug kann die Ausbildung dann wieder aufgenommen werden, so die Idee hinter dieser pauschalen Leistungsverweigerung.
ABER:
Dieses Konzept der Ausbildungsfinanzierung entweder durch Leistungen nach BAföG oder eigene Mittel setzt voraus, dass es einen funktionierenden Arbeitsmarkt gibt, auf dem eigene Mittel erwirtschaftet werden können, um die Ausbildung zu finanzieren. Genau dies war aber im März - Juni 2020 nicht gegeben. Es war erklärtes Ziel der "Maßnahmen" die Kontakte zwischen Menschen auf ein Minimum zu reduzieren und zu diesem Zweck wurden flächendeckend nicht zwingend lebensnotwendige Veranstaltungen untersagt.
Ursache für die Hilfsbedürftigkeit ist demnach das staatliche Handeln, nicht der Wunsch des Antragstellers, mit Hilfe von ALGII-Leistungen eine Ausbildung finanziert zu bekommen.
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes haben sowohl erste als auch zweite Instanz diesen Aspekt nicht geprüft, sondern ausschließlich darauf abgestellt: Student => könnte BAföG bekommen, wenn er nicht zu alt wäre => kein ALG II.
Im Hauptsacheverfahren in der ersten Instanz das gleiche Bild: Keine Prüfung der Sachlage, sondern ausschließlich: Student => könnte BAföG bekommen, wäre er nicht schon zu alt => kein ALG II.
Keine Berücksichtigung der Gründe, die zur Leistungsbedürftigkeit geführt haben (Arbeitsverbot durch staatliche Anordnung), keine Prüfung auf unbillige Härte im Kontext "der Maßnahmen", nichts. Entscheidung so als sei gerade das Jahr 2019. Wenn der Student kein Geld hat, dann muss er sich eben exmatrikulieren, dann kann er ALGII-Leistungen bekommen.
Jetzt die Frage: Mit welcher Argumentation könnte ein Anspruch begründet werden? Der Antragsteller hat nachweislich in den letzten 10 Jahren kein Studium verfolgt und auch arbeitsbedingt keines verfolgen können. Alle Studienleistungen für eine Anmeldung der Abschlussprüfung waren schon vor 15 Jahren erbracht, eine Präsenzpflicht bestand deshalb seit über 15 Jahren nicht mehr. Es fehlte alleine die Abschlussprüfung. Diese war vor "den Maßnahmen" angemeldet und ist zwischenzeitlich auch erbracht worden.
Damit ist erkennbar nicht der Umstand der Immatrikulation für die Hilfsbedürftigkeit ursächlich, sondern sind alleine die Verbote durch "die Maßnahmen" hierfür ursächlich.
Vor diesem Hintergrund ist die Argumentation sowohl des JobCenters als auch der I. und II. Instanz im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes und der I. Instanz im Hauptverfahren absurd, der Antragsteller könnte ja seine Ausbildung abbrechen, wenn er altersbedingt kein BAföG bekommt. Ein solcher Abbruch — nach Anmeldung der Abschlussprüfung — ist erkennbar eine unbillige Härte. Denn eine Exmatrikulation während der Abschlussprüfung führt zu einer Unwiederholbarkeit dieser, da in diesen Studiengang nicht immatrikuliert wird. Es gibt deshalb keine Option einer "Wiederaufnahme der Ausbildung nach Ende der Hilfsbedürftigkeit".
Dass der Antragsteller ein Interesse an einem Studienabschluss hatte, ist durch die Anmeldung der Abschlussprüfung — vor — "den Maßnahmen" belegt. Es geht dem Antragsteller erkennbar nicht darum Auflagen der Leistungsbewilligung durch den Rechtsschutz einer Ausbildung zu umgehen. Es ist eine reine Zufälligkeit, dass — nach — der Prüfungsanmeldung dem Antragsteller die bisherige Erwerbsarbeit im Kontext "der Maßnahmen" untersagt wurde und er daraufhin wirtschaftlich hilfsbedürftig wurde. Ohne "die Maßnahmen" wäre der Antragsteller nicht hilfsbedürftig geworden und hätte er keinen Antrag auf ALGII gestellt.
Effektiv führt die Verweigerung von ALGII beim Antragsteller jedoch dazu, dass er mit einer persönlichen finanziellen Verschuldung "die Maßnahmen" des Staates finanziert. Absurd in Anbetracht der Tatsache, dass abhängig Beschäftigten der Staat Kurzarbeitsgeld über Jahre hinweg zahlt und Beschäftigten in anderen Bereichen "Corona"-Prämien gezahlt werden, ohne dass diese eine Mehrbelastung nachweisen können.
Was tun?