Bundesverfassungsgericht - Obergrenzen für Immobilien
bei Hartz IV verfassungskonform
Beschluss vom 28. April 2022 - 1 BvL 12/20
Alles anzeigenG r ü n d e :
I.
1. Die Vorlage betrifft die im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung anzuwendende
Regelung des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 in Verbindung mit Satz 2 Sozialgesetzbuch
Zweites Buch (SGB II), wonach selbst bewohntes Wohneigentum angemessener
Größe einem Bezug von Grundsicherungsleistungen nicht als anrechenbares
Vermögen entgegensteht, also in der Sache vor Verwertung geschützt ist. Die
angemessene Größe richtet sich dabei nach der aktuellen Bewohnerzahl. Die
Regelung berücksichtigt daher nicht, wenn Eltern gegenwärtig gerade deshalb
über größeren Wohnraum verfügen, als für sie zu zweit angemessen im Sinne von
§ 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II ist, weil sie im Zeitpunkt des Bezugs noch den
Wohnbedarf ihrer mittlerweile ausgezogenen Kinder decken mussten.
2. § 12 SGB II hat in den Teilen, die das Sozialgericht Aurich für verfassungswidrig
hält, folgenden Wortlaut:
§ 12 Zu berücksichtigendes Vermögen
(1) Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen.
(2) …
(3) 1 Als Vermögen sind nicht zu berücksichtigen
4. ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine
entsprechende Eigentumswohnung,
2 Für die Angemessenheit sind die Lebensumstände während des Bezugs der
Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende maßgebend.
3. Selbst genutztes Wohneigentum ist danach geschützt, wenn es eine
„angemessene Größe“ hat. Das Bundessozialgericht hat dies in ständiger
Rechtsprechung dahingehend konkretisiert, dass die angemessene Größe
eines Hausgrundstücks mit Blick auf die Gesamtwohnfläche des darauf
errichteten Hauses und insoweit bundeseinheitlich nach den
Wohnflächengrenzen des zum 1. Januar 2002 außer Kraft getretenen
Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG), differenziert nach der
Anzahl der Personen, zu bestimmen ist. Für Familienheime, die von bis
zu vier Personen bewohnt werden, sah das Zweite Wohnungsbaugesetz eine Wohnflächengrenze von 130 m2 vor (§ 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 II.
WoBauG). Diese Wohnflächengrenze sei, so das Bundessozialgericht, bei
einer Belegung von Wohneigentum mit weniger als vier Personen um jeweils
20 m2 pro weniger darin wohnender Person zu reduzieren, typisierend
begrenzt auf eine Belegung mit bis zu zwei Personen (vgl. BSG, Urteil
vom 12. Oktober 2016 - B 4 AS 4/16 R -, Rn. 28 m.w.N.). Mit § 12 Abs.
3 Satz 2 SGB II, wonach für die Beurteilung der Angemessenheit die
Lebensumstände während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung
maßgebend sind, habe der Gesetzgeber seine beabsichtigte Abkehr vom Lebensstandardprinzip und Hinwendung zum Bedarfsdeckungsprinzip
normativ klargestellt (a.a.O., Rn. 34). Für die Bemessung der
Wohnflächengrenze habe keine Bedeutung, dass bei Bezug des Hauses
die Zahl der Bewohner größer gewesen sei (a.a.O., Rn. 35). ........................