Armut hat sich längst zum Flächenbrand entwickelt. 13,8 Millionen Menschen galten 2021 in Deutschland als einkommensarm – das sind 16,6 Prozent. Aufgrund der hohen Inflation dürfte dieser Trend auch in diesem Jahr anhalten und immer mehr Haushalte betreffen. Der jüngst veröffentlichte Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ist damit weit mehr als ein Zahlenwerk. Er ist ein Weckruf an die Politik, verbunden mit der Forderung nach 200 Euro mehr Hartz IV.
Armut breitet sich rasant aus
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, ist angesichts der Entwicklung erschüttert:
„Noch nie hat sich die Armut in jüngerer Zeit so rasant ausgebreitet wie während der Pandemie.“
Betroffen seien inzwischen vor allem Erwerbstätige und hier allen voran Selbstständige. In dieser Gruppe stieg der Anteil von 9,0 auf 13,1 Prozent.
Alleinerziehende sind besonders betroffen
Die höchste Armutsbetroffenheit gibt es bei Familien mit drei und mehr Kinder mit 31,6 Prozent und bei Alleinerziehenden mit 41,6 Prozent. Bezogen auf Kinder und Jugendliche wurde ebenfalls ein neuer Rekordwert erreicht: 20,8 Prozent. Bei Rentnern stieg die Quote auf 17,9 Prozent.
Bremen ist Schlusslicht mit 28,0 Prozent
Auf Länderebene trägt nach wie vor Bremen mit 28 Prozent die „rote Laterne“. Das Ruhrgebiet würde in dieser Liste mit 21,1 Prozent und einer Hartz IV Quote von 14,4 Prozent den vorletzten Rang einnehmen und gilt als eine der größten Problemregionen.
Kinder in Hartz IV Bezug
Besonders erschreckend ist die hohe Hartz IV Abhängigkeit von Kindern im Ruhrgebiet: 22,9 Prozent. Duisburg, Dortmund, Hagen und Herne bewegen sich allesamt um 30 Prozent. Gelsenkirchen ist „Spitzenreiter“ mit 39 Prozent.
Die Zahlen im Detail – in Klammern zum einen die Armutsquote und zum anderen die SGB II bzw. Hartz IV Quote:
Baden-Württemberg (13,9 % / 4,8 %)
Bayern (12,6 / 3,8)
Berlin (19,6 / 16,2)
Brandenburg (14,5 / 7,7)
Bremen (28,0 / 17,8)
Hamburg (17,3 / 12,0)
Hessen (18,3, / 7,9)
Mecklenburg-Vorpommern (18,1 / 9,1)
Niedersachsen (17,9 / 8,2)
Nordrhein-Westfalen (18,7 / 10,9)
Rheinland-Pfalz (16,5 / 6,5)
Saarland (16,1 / 10,5)
Sachsen (17,1 / 7,8)
Sachsen-Anhalt (19,5 / 10,6)
Schleswig-Holstein (15,0 / 8,7)
Thüringen (18,9 / 7,2)
Entlastungsprogramme verpuffen
Harsche Kritik übt der Paritätische Gesamtverband an der Politik. Es habe zwar Hilfspakete gegeben.
„So gut wie nichts passierte jedoch für die Personen, die sich bereits in Armut und insbesondere in Bezug von Hartz IV oder Altersgrundsicherung befanden.“
Auch die aktuellen Entlastungsprogramme verpufften angesichts der Inflation.
Grundsicherung wurde nicht angehoben
Deutlich wird dies vor allem bei Hartz IV. Die Grundsicherungsleistungen hätten sofort angehoben werden müssen. Zum einen „angesichts der nicht bedarfsdeckenden Regelsätze in Hartz IV“. Zum anderen, weil Hilfsangebote wie Tafel, Schulessen und Sozialkaufhäuser in der Pandemie weitgehend weggefallen seien.
Sinnvoll wäre eine Mehrwertsteuersenkung
Unverständlich ist dem Paritätische Gesamtverband auch, warum „die Bundesregierung wie mit der Gießkanne übers Land zieht“. Sie leiste dort Unterstützung, wo sie nicht gebraucht werde. Für Hartz IV Bedürftige und untere Einkommensschichten wäre eine Mehrwertsteuersenkung eine „zielgenauere Unterstützung“ gewesen.
Bonus deckt nicht einmal die Inflation
Schlimmer noch: Die 200-Euro-Einmalzahlung für Hartz IV Bedürftige bewege sich unter dem notwendigen Inflationsausgleich. Damit berge das Konjunkturprogramm die Gefahr, die soziale Spaltung noch weiter zu vergrößern.
200 Euro Hartz-IV Bonus deckt Inflation bei Lebensmitteln nicht
Die Wünsche lauten daher: Es braucht ein zielgerichtetes Entlastungspaket, ein künftiges Bürgergeld in Höhe von 678 Euro und bis zu Einführung einen Hartz IV Aufschlag von 200 Euro pro Monat. Darüber hinaus müssten die Stromkosten aus dem Regelsatz genommen werden und müsse umgehend eine bedarfsorientierte Kindergrundsicherung geschaffen werden.
Armutsbericht 2022 vom 28.06.2022 – Der Paritätische Gesamtverband
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