Experten schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, während die Politik jede Warnung zum Bürgergeld und der Armutsentwicklung in den Wind schießt. Geht es ums Geld, sind die Grenzen offenbar fest abgesteckt. Allerdings mit fatalen Folgen, wie Joachim Rock, Abteilungsleiter Sozial- und Europapolitik beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärte.
Das Armutsrisiko steigt
Das Armutsrisiko in Deutschland steige seit 2006 jedes Jahr weiter an. Den politischen Willen, etwas daran zu ändern, sehe er nicht, betonte Rock. Schlicht, weil es nicht zu den Kernanliegen der Bundesregierung zähle, die soziale Spaltung zu bekämpfen.
Viele nehmen Ansprüche nicht wahr
Wie sehr sich die Armut in die Mitte der Gesellschaft vorarbeitet, belegen bereits wenige Daten. 1960 sei weniger als ein Prozent der Bevölkerung auf Sozialhilfe angewiesen gewesen. Aktuell bezögen knapp acht Prozent Leistungen, die zumindest das Existenzminimum sichern sollen. Besonders schlimm: Bis zu 60 Prozent der Berechtigten nähmen ihre Ansprüche gar nicht wahr.
Es mangelt an gezielter Hilfe
Angesichts der hohen Zahl derer, die sich schämen, zum Amt zu gehen, oder gar nicht wissen, dass ihnen Hilfe zusteht, sagt Joachim Rock:
„Nicht der Missbrauch, sondern der Nichtgebrauch sozialer Rechte ist ein Problem.“
Zwar habe die Regierung angesichts von Pandemie und Krise viel Geld verteilt. Woran es jedoch mangele, seien schnelle und gezielte Hilfen für jene, die sie am dringendsten benötigt hätten.
Wachsende Ungleichheit
Die Konsequenzen der wachsenden Ungleichheit seien handfester Natur. Familien könnten sich keine gesunde Nahrung mehr leisten oder wichtige Medikamente bezahlen. Nicht ohne Grund seien zwei Millionen Menschen auf die Tafeln angewiesen. Dabei gelte: „Wir wissen auch: Wer arm ist, muss früher sterben.“
Armutsfestes Bürgergeld
Daraus leitet der Experte zwei Forderungen ab: Die Sozialversicherungen, damit das Bürgergeld, müssten endlich armutsfest ausgestaltet werden, auch durch gezielte Transfers aus Steuermitteln. Die Regierung verzichte jedoch darauf, Steuern umzuverteilen und vergrößere damit die soziale Spaltung. Punkt zwei auf der Liste ist ein höherer gesetzlicher Mindestlohn. Die EU empfehle für Deutschland 13,50 Euro. Ab kommendem Jahr sind es jedoch nur 12,41 Euro.
Chance im Keim erstickt
Dass die Finanzierung des Bürgergelds noch einmal überdacht werden sollte, fordern übrigens nicht nur Sozialverbände. Auch die Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles, mahnt eine auskömmliche Finanzausstattung an,
„um die Möglichkeiten des Bürgergelds in vollem Umfang nutzen zu können“.
Denn mal ehrlich: Was nützt eine Reform, die man mit dem Sparschwein im Keim erstickt?
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