Armut macht krank – auch, weil Betroffene inzwischen aus reinem Sozialneid von allen Seiten drangsaliert werden. Hartz IV Bedürftige bekommen das besonders zu spüren. Sie stehen ganz unten in der Hackordnung. Dabei ist Armut kein individuelles Schicksal, sondern ein strukturelles Problem, sagt der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Butterwegge in einem Interview mit ntv. Er fordert daher 150 Euro mehr Hartz IV und eine klare Sicht auf die eigentlichen Probleme dieser Gesellschaft.
Keine Teilhabe am soziokulturellen Leben
Die Antwort Butterwegges auf die Frage, ob man als alleinstehender Erwachsener von 449 Euro Hartz IV im Monat leben könne, fällt entsprechend deutlich aus: „In Würde sicher nicht.“ Man verhungere zwar nicht. Von knapp über fünf Euro am Tag für Lebensmittel könne man sich aber nicht gesund ernähren. Für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben reiche Hartz IV „erst recht nicht“.
Bei Hartz IV droht Mangelernährung
Bürgergeld löst die Probleme nicht
Dieses Problem werde auch nicht durch das Bürgergeld gelöst. Damit gleiche die Regierung lediglich die Geldentwertung aus. Zudem gelte der höhere Betrag erst ab dem kommenden Jahr.
„Die Preissteigerungen sind aber jetzt schon da“,
erklärte Professor Dr. Christoph Butterwegge gegenüber ntv.
Regelsatz müsste 150 Euro höher sein
Der Armutsforscher plädiert daher für einen 150 Euro höheren Regelsatz und dafür, die Stromkosten aus dem Regelbedarf herauszunehmen. Das Argument, Hartz IV Bedürftige ließen elektrische Geräte dann stundenlang laufen, lässt Butterwegge nicht gelten. Schon heute achteten die Jobcenter darauf, dass beispielsweise Unterkunft und Heizung angemessen seien.
Hinweis: Ab 01.01.2023 soll der Hartz V Regelsatz bei 502 Euro (Bürgergeld) für einen erwachsenen Menschen liegen.
Hartz IV wird mit dem Bürgergeld nicht überwunden
Armut macht krank
Der finanzielle Aspekt von Hartz IV darf aus Sicht von Professor Butterwegge jedoch nicht losgelöst von einem anderen Problem gesehen werden: Armut mache krank. Betroffene litten darunter, „sozial ausgegrenzt, verachtet und verächtlich gemacht zu werden“. Daraus resultierten „gesundheitliche, psychische und Suchtprobleme“.
Ausgeprägter Sozialneid
Dazu trage auch bei, dass der Sozialneid nach unten in Deutschland sehr ausgeprägt sei. Die Mittelschicht, die aufgrund der Inflation in die Armut abzurutschen drohe, gehe davon aus, dass Hartz IV Bedürftige „gepampert“ würden. Doch statt nach unten zu treten, sollte die Mittelschicht lieber nach oben schauen, rät Butterwegge.
Hartz IV Bedürftige sind keine Drückeberger
Über 53 Euro mehr Grundsicherung beim künftigen Bürgergeld regten sich alle auf. Wenn aber ein Vorstandsvorsitzender 19 Millionen Euro erhalte, „begehrt niemand dagegen auf“. Diesbezüglich stellt der Armutsforscher klar:
„Dabei sind fast eine Million Hartz-IV-Bezieher garantiert keine „Drückeberger“, „Faulenzer“ oder „Sozialschmarotzer“, sondern Menschen wie sie, die so wenig verdienen, dass sie ergänzend Hartz IV in Anspruch nehmen.“
#IchBinArmutsbetroffen: Das Leben am Rand der Gesellschaft
Aktion #IchBinArmutsbetroffen ist ein Fortschritt
Dahinter stecke die Sichtweise, dass Armut auf Antriebsschwäche und ökonomischer Erfolg auf Leistung beruhten. Dieses verzehrte Bild zu ändern, hat sich unter anderem die Twitter-Aktion #IchBinArmutsbetroffen auf die Fahnen geschrieben. Arme, die sonst nie eine politische Stimme hatten, würden jetzt ihr Gewicht in die Waagschale legen. Statt sich zu schämen, organisierten sie sich, um ihre Lage zu verbessern. Das sei ein riesiger Fortschritt, so Butterwegge.
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