700.000: Diese Zahl sollte die Regierung wachrütteln, endlich etwas zu unternehmen. Denn so hoch war zum Jahresende 2022 das Wohnungsdefizit in Deutschland. Besonders im sozialen Wohnungsbau für Bürgergeld-Empfänger und einkommensschwache Haushalte hat die Situation den kritischen Punkt längst überschritten. Davor warnt der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW. Dessen Präsident Axel Gedaschko befürchtet angesichts der aktuellen Entwicklungen eine „jahrelange Wohn- und Baukrise“. Das sei Gift für das Klima und den sozialen Frieden.
Schlimmster Wohnungsmangel seit 30 Jahren
Wie schlimm es um den Wohnungsmarkt bestellt ist, belegt die Studie „Bauen und Wohnen in der Krise“, erstellt vom Hannoveraner Pestel-Institut und dem Kieler Bauforschungsinstitut ARGE. Demnach ist der Wohnungsmangel in Deutschland so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr.
Drama für Wohnungssuchende
Axel Gedaschko mahnt:
„Beim bezahlbaren Wohnen und insbesondere mit Blick auf Sozialwohnungen steht Deutschland vor einem unglaublichen Drama für Wohnungssuchende.“
Das gelte umso mehr, weil der Mangel stetig zunehme. Dafür seien viele Faktoren verantwortlich, etwa die Materialknappheit und gestiegene Kosten. Zusätzlich sorgten „desaströse Förderbedingungen“ dafür, dass es keine Planbarkeit mehr für Bauwillige gebe.
Beängstigende Versorgungslücke
Die Kritik des GdW richtet sich daher unverblümt an die Politik: Der soziale Wohnungsbau, der gerade für Bürgergeld-Empfänger relevant ist, sei über Jahre vernachlässigt worden. Und auch für Normalverdiener ergebe sich eine „beängstigende Versorgungslücke“. Daher müsse der Staat sein Engagement für bezahlbaren und sozialen Wohnungsbau sofort und dauerhaft stärken.
Düstere Aussichten für die kommenden Jahre
Für die kommenden beiden Jahre zeichnet der GdW ein düsteres Bild. 32 Prozent der geplanten Wohnungen könnten in den Jahren 2023 und 2024 nicht gebaut werden. Im sozialen Wohnungsbau, für den 20.000 Sozialwohnungen veranschlagt worden waren, werden aller Voraussicht nach 4.200 Einheiten respektive 21 Prozent nicht realisiert.
Eklatante Fehler der Regierung
„Eine Verkettung von historisch schlechten Baubedingungen und eklatante Fehler der Regierung lassen den bezahlbaren Wohnungsbau aktuell dramatisch einbrechen“,
so Axel Gedaschko. Auch bei Modernisierung und Sanierung drohe ein Stau. Einer der Gründe, neben der Baupreisexplosion, sei die
„nicht verlässliche und unzureichende Förderpolitik der Bundesregierung“.
Daher fordert der GdW unter anderem steuerliche Anreize über eine Mehrwertsteuersenkung im sozialen Wohnungsbau und eine bessere Förderung.
Was ist im Bürgergeld eine angemessene Unterkunft?
Für Bürgergeld-Empfänger sind die Themen sozialer Wohnungsbau und bezahlbarer Wohnraum existenziell. Denn bezahlt wird nur eine angemessen große und teure respektive günstige Wohnung. Mit der Karenzzeit wurde zwar ein Übergang geschaffen und wird die Angemessenheit während der ersten zwölf Monate des Leistungsbezugs nicht überprüft.
Danach geht es dann aber ans Eingemachte und wird ein Kostensenkungsverfahren eingeleitet. Heißt: Passt die Wohnung nicht ins Schema und schafft man es nicht, binnen sechs Monaten eine günstigere Option zu finden, zahlt man die Differenz zwischen angemessener und tatsächlicher Miete aus der eigenen Tasche.
Regionale Unterschiede
Eine bundesweite Richtschnur, was als angemessen gilt, gibt es nicht. Schließlich sind die Mieten in München zum Beispiel deutlich höher als im Münsterland. Daher wird auf den örtlichen Mietspiegel zurückgegriffen. Daraus resultieren je nach Stadt und Region unterschiedliche Vorgaben.
Dazu zwei Beispiele:
In Dresden sollte die Wohnfläche für eine Person 45 Quadratmeter nicht übersteigen (2 Personen 60 Quadratmeter, drei Personen 75 Quadratmeter, vier Personen 85 Quadratmeter). Die angemessene Bruttokaltmiete wird mit 349,98 Euro für eine Person beziffert (448,44 Euro für zwei Personen, 528,59 Euro für drei Personen und 657,44 Euro für vier Personen).
Im Landkreis Göttingen wiederum stehen einer einzelnen Person bis zu 50 Quadratmeter zu. Die übrigen Werte decken sich mit denen in Dresden. Die angemessenen Unterkunftskosten (Bruttokaltmiete) in Göttingen (Stadt) belaufen sich auf 540,10 Euro für eine Person (654,50 Euro für zwei Personen, 778,80 Euro für drei Personen und 907,50 Euro für vier Personen). In der Gemeinde Friedland wiederum sollte die Miete für eine Single-Wohnung maximal 431,20 Euro betragen (521,40 Euro; 620,40 Euro; 724,90 Euro).
Probleme werden nicht konsequent angegangen
Betrachtet man diese Angemessenheitsregeln und die Zahlen des GdW, wird es für Bürgergeld-Empfänger immer schwerer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Versprochen worden waren 400.000 neue Wohnungen pro Jahr. Dass davon nur 200.000 gebaut werden, haben teilweise die Umstände zu verantworten, in erster Linie aber die Politik, die das Problem nicht konsequent genug in Angriff nimmt.
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