Rund 11.000 Euro hat ein Leistungsbezieher nachträglich wegen sittenwidriger Mieten vom Gericht zugesprochen bekommen – doch in den weiteren Instanzen wurde der Anspruch auf die Rückzahlung der Miete dem Jobcenter zugesprochen, obwohl der Leistungsträger selbst gar keinen Anspruch gestellt hat. Das Tragische an diesem Fall ist, dass der Kläger – der nach Aussagen der Gerichte mangels Anspruchsgrundlage gar keine Klage hätte erheben können – nun auf den Kosten für dir drei Instanzen sitzen bleibt. Auf die Einzelheiten der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 05.06.2024 unter Az.: VIII ZR 150/23 gehen wir in diesem Artikel detailliert ein.
Ein Bürgergeld Bedürftiger lebte zunächst in einer Flüchtlingsunterkunft und bezog dann in Berlin eine Wohnung der Beklagten ab September 2018. Das Mietverhältnis dauerte vom vom 01. September 2018 bis zum 30. Juni 2020. Für September zahlte der Leistungsempfänger die Miete noch selbst, für die Folgezeit wurden vom Jobcenter Leistungen für Unterkunft und Heizung gewährt – während des gesamtem Mietverhältnisses war der Kläger auf Hartz IV (heute Bürgergeld) nach dem SGB II angewiesen.
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Klage auf Rückzahlung überzahlter Miete
Es stellte sich raus, dass die Miete völlig überzogen war, da die vereinbarte Grundmiete die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als das Doppelte überstieg.
Mit seiner Klage verlangte der Kläger daher die Rückerstattung der überzahlten Miete für den Zeitraum von September 2018 bis Juni 2020, insgesamt rund 11.000 €. Das Amtsgericht gab der Klage im Wesentlichen statt und stellte fest, dass die vereinbarte Miete die ortsübliche Vergleichsmiete tatsächlich erheblich überstieg und die Vermieterin die Schwäche des Klägers ausgenutzt habe. Zudem war die Wohnung wegen eines Wasserschadens zeitweise unbewohnbar, was eine vollständige Mietminderung rechtfertigte.
Nachdem die Vermieterin in Berufung ging, hob das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts wieder auf mit der Begründung, dem Bürgergeld Empfänger würde eine Bereicherung, resultierend aus der Rückzahlung überzahlter Miete nicht zustehen, da die Rückerstattung nach § 33 Abs. 1 SGB II auf das Jobcenter übergegangen sei.
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Im von der Vermieterin begehrten Berufungsverfahren änderte das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts ab und wies die Klage ab. Das LG stellte fest, dass dem Kläger zur Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen die erforderliche Berechtigung fehle, weshalb die Klage ohne weitere Sachprüfung abzuweisen war.
Das Gericht befand, dass die Rückforderungsansprüche gemäß § 33 Abs. 1 SGB II auf den Sozialleistungsträger übergegangen seien und der Bürgergeld Empfänger daher keinen Anspruch auf die Rückforderung stellen könne. Dadurch, dass die Miete vom Jobcenter gezahlt wurde, seien sämtliche Forderungen des Klägers aus dem Mietverhältnis auf das Jobcenter übergegangen.
Gemäß § 91 Abs. ZPO wurden die Kosten des Verfahrens der unterliegenden Partei auferlegt.
Entscheidung des Bundesgerichtshofes
Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte im Revisionsverfahren die Haltung des Landgerichts. Die Revision des Klägers blieb erfolglos. Der BGH entschied, dass etwaige Ansprüche auf Rückerstattung überzahlter Miete gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Sozialleistungsträger übergegangen sind.
Der gesetzliche Forderungsübergang nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt sicher, dass Leistungen nach dem SGB II nur nachrangig erbracht werden. Die Voraussetzungen für den Forderungsübergang waren erfüllt, da der Kläger während der gesamten relevanten Zeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhielt. Der Anspruch auf Rückerstattung überzahlter Miete gegen die Vermieterin stellt einen Bereicherungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 BGB dar.
Die Karlsruher Richter erklärten, dass der gesamte Rückforderungsanspruch für Zeiten entstanden ist, in denen Grundsicherungsleistungen bezogen wurden. Bei rechtzeitiger Rückerstattung der Vermieterin im Bewilligungszeitraum der Grundsicherung hätte sich der Kläger diese auch auf den Bedarf für Unterkunft und Heizung anrechnen lassen müssen.
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Gesetzliche Vorschriften zur BGH Entscheidung
- § 812 BGB (Herausgabeanspruch): Personen, die ohne rechtlichen Grund durch die Leistung eines anderen etwas erlangen, sind zur Herausgabe verpflichtet.
- § 33 SGB II (Übergang von Ansprüchen): Ansprüche von Personen, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, gegen Dritte gehen bis zur Höhe der Aufwendungen auf den Sozialleistungsträger über. Der Sozialleistungsträger kann diese Ansprüche im Einvernehmen mit dem Leistungsbezieher zur gerichtlichen Geltendmachung rückübertragen.
Jobcenter muss Anspruch nicht geltend machen
Der BGH stellte klar, dass der gesetzliche Anspruchsübergang auf den Sozialleistungsträger gemäß § 33 Abs. 1 SGB II besteht, unabhängig davon, ob das Jobcenter die Ansprüche selbst realisiert oder an den Kläger zur Geltendmachung zurücküberträgt. Dies betrifft ausschließlich den Verwaltungsvollzug und berührt nicht die Voraussetzungen des Anspruchsübergangs.
Kommentar der Top-Moderatorin Tamar aus unserem Bürgergeld Forum:
Der Kläger hätte das Jobcenter mittels Rückabtretung mit ins Boot holen müssen. Das JC ist allerdings frei in seiner Entscheidung, eine Rückabtretung zu machen. Da ganz klar der Anspruch ans Jobcenter übergegangen ist, ist es natürlich traurig für den Kläger, daß der Anwalt das bis zum BGH getrieben hat, denn er hat jetzt Anwalts und Gerichtskosten für 3 Instanzen zu tragen.
Der Anspruchsübergang nach § 33 SGB II tritt cessio legis ein, also kraft Gesetzes, mithin automatisch. Ist vorliegend auch logisch, geschädigt wurde nur das Jobcenter, es hat ja die Miete gezahlt.
Leistungsempfänger sind in vielen solchen Fällen gar nicht mehr aktivlegitimiert. Klassisches Beispiel ist Kindes-, Ehegatten-, Betreuungsunterhalt. Auch hier kann der ursprünglich Unterhaltsberechtigte nur noch einen Anspruch in eigenem Namen geltend machen, wenn es eine etwaige Differenz gibt. Also z. B. 200 Euro Bürgergeld gezahlt wird, der Unterhaltsanspruch aber bei 300 Euro liegen würde. Dann ist das Jobcenter für die 200 Euro aktivlegitimiert und der Unterhaltsberechtigte für die restlichen 100 Euro.
Ähnlich hätte es in vorliegendem Fall ausgesehen, wenn das Jobcenter auf eine angemessene Miete abgesenkt und der Kläger einen Teil der Miete aus dem Regelsatz gezahlt hätte. Dass wäre er für den Regelsatzanteil aktivlegitimiert gewesen.
Verfahrensverlauf und Vorinstanzen:
- BGH vom 05.06.2024 – Az.: VIII ZR 150/23
- Landgericht Berlin vom 19.04.2023 – Az.: 64 S 190/21
- Amtsgericht Berlin Köpenick vom 04.06.2022 – Az.: 2 C 260/20/22
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