Von Bürgergeld Bedürftigen wird erwartet, bei Anträgen, Anfragen und Widersprüchen auf Punkt und Komma genau zu sein, damit überhaupt darauf reagiert wird. Die Jobcenter selbst nehmen die für sie geltenden Regeln indes nicht so ernst. Gut, wenn Richter in dem Fall den Rotstift zücken und für Ordnung sorgen. Wie das Bundessozialgericht, das aufgrund einer fehlerhaft formulierten Rechtsbehelfsbelehrung Klartext sprach.
Rückforderung des Jobcenters
Der Fall hinter dem Urteil ist wenig spektakulär und dürfte in der Form zigmal in jedem Jobcenter vorkommen. Ein Vater und drei Kinder bezogen Sozialgeld und Hartz IV, heute Bürgergeld. Nachdem der Mann einen Job gefunden hatte, wurde der ursprüngliche Bewilligungsbescheid teilweise wieder aufgehoben. Überdies forderte das Amt die überzahlten Leistungen mit Bescheid vom 8. Februar 2018 zurück, insgesamt 1.690,94 Euro.
Die Rechtsbehelfsbelehrung
Entscheidend: In der Rechtsbehelfsbelehrung der Bescheide wurde nur auf die Möglichkeit des Widerspruchs in schriftlicher Form oder zur Niederschrift aufmerksam gemacht. Nachdem der Kläger am 27. Dezember 2018 Widerspruch eingelegt hatte, damit nach Ablauf der regulären Monatsfrist, wurde der Widerspruch vom Jobcenter wegen Verfristung für unzulässig erklärt. Das Sozialgericht Lübeck und das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht folgten den Argumenten des Jobcenters.
Bescheide waren inhaltlich nicht rechtmäßig
Das Bundessozialgericht schaute dann etwas genauer hin. Es rügte unter anderem die fehlende tatsächliche Feststellung des Landessozialgerichtes hinsichtlich der inhaltlichen Rechtmäßigkeit der Bescheide. Warum ist das so wichtig? Weil es klare gesetzliche Vorgaben dazu gibt, was eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten muss. In den Bescheiden des Jobcenters fehlte die Belehrung darüber, dass ein Widerspruch auch in elektronischer Form möglich ist. Daher galt eine Widerspruchsfrist von einem Jahr – die der Kläger eingehalten hat.
Maßgeblich ist hier § 84 Abs.1 SGG:
(1) Der Widerspruch ist binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat.
Der elektronische Zugang
Ob das Jobcenter zu diesem Zeitpunkt in der Lage war, einen elektronisch eingelegten Widerspruch zu bearbeiten (was im vorliegenden Fall erst seit dem 17. August 2020 möglich war) sei
„für die Frage der inhaltlichen Anforderungen an eine zutreffende Belehrung ohne rechtliche Bedeutung“,
betonte das Bundessozialgericht.
E-Mail für Übermittlung von Dokumenten
Auch ob das Jobcenter den entsprechenden Zugang hätte schaffen müssen, ließen die Richter dahingestellt. Denn: Das Jobcenter hatte auf dem Kopfbogen des angefochtenen Bescheids eine E-Mail-Adresse angegeben und damit
„den für die Übermittlung eines elektronischen Dokuments erforderlichen Zugang im Sinne des § 36a Abs. 1 SGB I zumindest konkludent (Anm.: stillschweigend) eröffnet“.
Dieser Paragraf besagt:
„Die Übermittlung elektronischer Dokumente ist zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet.“
Dass die E-Mailadresse nicht für Widersprüche genutzt werden könne, gehe nicht aus dem Bescheid hervor.
Fazit des Verfahrens: Damit war die Belehrung im Bescheid vom 8. Februar 2018 unvollständig, weshalb die verlängerte Jahresfrist gelte – so dass auch der Widerspruch des Bedürftigen als fristgerecht zu erachten ist.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Lübeck, S 16 AS 116/19, 16.10.2020
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, L 3 AS 108/20, 20.10.2021
Bundessozialgericht, B 7 AS 10/22 R, 27.09.2023
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