Der Begriff Kindergeld impliziert zwar, dass die Zahlung für Kinder gedacht ist. Letztlich haben aber nur Eltern Anspruch auf die Leistung. Ein eigener Kindergeldanspruch ergibt sich für Kinder nur, wenn der Aufenthaltsort der Eltern völlig unbekannt ist oder Betroffene Vollwaisen sind. Ein Problem, mit dem vor allem Kinder konfrontiert sind, die flüchten mussten und deren Eltern im Ausland leben – so wie in dem Fall, der vor dem Bundessozialgericht entschieden wurde.
Unbegleiteter minderjähriger Flüchtling
Der Hintergrund: Ein Syrer, 2001 geboren, war 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen. Er führte einen eigenen Haushalt, ging zur Schule und hatte eine Aufenthaltserlaubnis, die ihm eine Erwerbstätigkeit erlaubte. Inzwischen ist der junge Mann eingebürgert und studiert.
Nur sporadischer Kontakt zur Mutter
Da der Vater nach seiner Geburt gestorben sei und er nur sporadischen Kontakt per Telefon und Internet zur Mutter habe, beantragte er bei der Familienkasse, dass das Kindergeld an ihn ausgezahlt werden soll. Das lehnte die Behörde ab. Damit begann der Weg durch die Gerichtssäle. Das Sozialgericht Berlin als erste Instanz sah keinen eigenen Kindergeldanspruch des jungen Mannes. Seitens des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg wiederum gab man dem Syrer recht.
Kenntnis über exakten Wohnort nicht nötig
Das letzte Wort hatte das Bundessozialgericht. Hier lehnte man den Antrag auf eigenes Kindergeld ab. Anders als zur Zeit der Einführung des Kindergelds für „alleinstehende Kinder“ im Jahr 1986 sei es heute dank moderner Kommunikationswege möglich, den Kontakt zu den Eltern im Ausland aufrechtzuerhalten. Dadurch wisse das Kind zumindest, an welchem Ort sich die Eltern vorübergehend aufhalten. Den exakten Wohnsitz müsse man nicht kennen.
Kein Verlust der Eltern-Kind-Beziehung
Anders ausgedrückt:
„Selbst wenn ein Kind zeitweise nicht weiß, an welchem Ort sich seine Eltern zumindest vorübergehend befinden, fehlt ihm noch nicht die Kenntnis ihres Aufenthalts“,
erklärte das Bundessozialgericht. Dies sei erst der Fall, wenn keine zumutbare Möglichkeit der Kontaktaufnahme mehr bestehe und die Unkenntnis über den Aufenthaltsort den Verlust der Eltern-Kind-Beziehung bedeute.
Anspruch nur bei sozialer Härte
Der Anspruch auf Kindergeld für sich selbst sei zur Vermeidung sozialer Härten geschaffen worden. Für Kinder, deren Eltern verstorben oder verschollen seien und somit „niemand die Elternstelle im Sinne des Kindergeldrechts“ einnehme. Dies sei im Fall des Syrers nicht gegeben. Er selbst habe im Kindergeldantrag vermerkt, zwei- bis dreimal monatlich mit der Mutter zu telefonieren. Dass die Kommunikation in einem Bürgerkriegsland wie Syrien abreißen könnte und einen dauerhaften Verlust der Beziehung zur Folge hätte, sei nie behauptet worden.
Verfahrensgang:
- Bundessozialgericht, Aktenzeichen B 10 KG 1/22 R vom 14.12.2023
- Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Aktenzeichen L 4 KG 1/20 vom 22.09.2022
- Sozialgericht Berlin, Aktenzeichen S 2 KG 6/19 vom 22.01.2020
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