Sobald auch nur angedeutet wird, in Deutschland herrsche Armut, werden jene Stimmen laut, die auf diesem Auge blind sind. Wenn sich nun selbst der Europarat besorgt über die unzureichende Sozialpolitik äußert und dabei explizit Kinder- und Altersarmut als große Probleme in unserem wohlhabenden Land anspricht, ist das mehr als ein Weckruf. Es ist schlichtweg peinlich. Denn statt wachsende Armut und Ausgrenzung zu bekämpfen, wird nur über einen Baustein gestritten: das Bürgergeld.
Drei große Baustellen
Weil die Regelsätze zum Jahreswechsel um knapp zwölf Prozent angehoben wurden, kann es in Deutschland keine Armut geben. Dieser unsägliche Grundton in der Debatte zum Bürgergeld übertüncht die wirklich wichtigen Probleme. Mit dem Europarat wird jetzt von außen und damit von unabhängiger Seite der Finger in die Wunden gelegt, die dringend versorgt werden müssen. Davon gibt es gleich drei: Armut, Wohnungsnot und die Ausgrenzung behinderter Menschen.
Ungleichheit nimmt zu
Hinsichtlich der Armut fällt dem Europarat vor allem die zunehmende Ungleichheit auf. Hier müssten weitere Anstrengungen unternommen werden. Immerhin gebe es erste Schritte in Richtung eines zugänglichen Sozialsystems. Allerdings gingen soziale Rechte in der Bundesrepublik nicht automatisch mit einer rechtsverbindlichen Verpflichtung einher. Sie seien vielmehr abhängig von den finanziellen Ressourcen.
Kinder und Senioren besonders betroffen
Insbesondere Kinder, Senioren und Menschen mit Behinderung seien von Armut betroffen. Hier sei ein entschlosseneres Handeln nötig. Zudem gelte es, die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu stärken – etwa über eine zentrale Behörde. Damit werde verhindert, dass man die Interessen der Betroffenen übersieht. Auch hinsichtlich der Altersarmut – konkret der hohen Armutsquote bei Senioren – müssen mehr getan werden.
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Ausgrenzung behinderter Menschen
Und die Liste, in der auch Rassismus genannt wird, ist noch länger: So seien nur begrenzte Fortschritte bei den Rechten Behinderter erzielt worden. Das liege unter anderem am mangelnden politischen Engagement. Die Finanzierung stimmt. Das Geld fließe jedoch in ausgrenzende Strukturen, etwa Behindertenwerkstätten oder Förderstellen, statt in die Inklusion respektive integrative Strukturen.
Problem der Obdachlosigkeit
Sorgen bereitet der Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, ferner der fehlende Wohnraum und damit das Problem der Obdachlosigkeit in Deutschland. Ihre Forderung: Die Bundesrepublik müsse alle Mittel nutzen, samt Eingriffen in den Wohnungsmarkt und Änderungen beim Mietrecht, um das Recht auf Wohnen durchzusetzen. Hierzu erklärte die Regierung, man habe einen Nationalen Aktionsplan zur Überwindung der Wohnungslosigkeit verabschiedet und damit eine Trendwende eingeläutet. Davon ist allerdings noch nichts zu spüren.
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Deutsches Versagen – ein Beispiel
Interessant an den Ausführungen des Europarats ist die Aussage, dass „soziale Rechte“ in Deutschland oft an finanzielle Ressourcen gebunden seien. Beispiel gefällig: Die Kindergrundsicherung wurde auf ein Minimum eingedampft, damit die Kasse stimmt. Oder anders ausgedrückt: Solange die Staatsfinanzen im Lot sind, dürfen Kinder auch hungern. Auch bei der Wohnungsnot sind die Bemühungen eher marginal. 18,5 Milliarden Euro an Bundesmitteln, die durch die Länder „erfahrungsgemäß“ verdoppelt würden, reichen beileibe nicht aus, um den sozialen Wohnungsbau voranzutreiben.
Wie reagiert die Ampel?
Jetzt darf man gespannt sein, ob und wie die Regierung auf die Europarat-Kritik reagiert und ob Bürgergeld Kritiker weiterhin den Rotstift zücken oder endlich anerkennen wollen, dass Betroffene sich ihre Armut nicht einbilden.
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