Fortschritt? Digital? Von wegen! Andere Betriebe sind längst verpflichtet, Arbeitsunfähigkeitsdaten elektronisch bei der Krankenkasse abzurufen. Die Bundesagentur für Arbeit hat diese Entwicklung verpennt und stellt Bürgergeld Bedürftige damit bloß. Denn Betroffene müssen bei Arztbesuchen nach wie vor um eine schriftliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) bitten und sich damit als Bürgergeldempfänger outen – auch, um die Gebühr von 5 Euro zu sparen.
Papier statt digital
Eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hat eine weitere Baustelle ausfindig gemacht, bei der die Bundesanstalt für Arbeit und das Bundesarbeitsministerium mal wieder geschludert haben. Die simple Frage:
„Trifft es zu, dass Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld im Krankheitsfall keine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Jobcenter einreichen können (…), da es keine Rechtsgrundlage dafür gibt?“
Umstellung erst im nächsten Jahr
Die Antwort ist ernüchternd: Es bedürfe eines datenschutzkonformen Verfahrens und einer gesetzlichen Grundlage, die zum Abruf der Daten berechtige. Die entsprechende Rechtsgrundlage dafür gebe es ab dem 1. Januar 2024. Die Konsequenz: Bürgergeld Bedürftige, die einen Nachweis erbringen müssen, wenn sie Termine aus Krankheitsgründen nicht wahrnehmen konnten, sind auf die eigentlich längst abgeschaffte Papierform der AUB angewiesen.
Betroffene müssen „bitte, bitte“ machen
Eine gedruckte und vom Arzt unterschriebene Bescheinigung kostet regulär 5,00 Euro, muss für Bürgergeld Bedürftige allerdings kostenfrei ausgestellt werden. Das heißt: Jeder, der auf Bürgergeld angewiesen ist und krank wird, muss sich dem Arzt gegenüber als arbeitslos und bedürftig outen.
Regierung muss sich entschuldigen
Jessica Tatti, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, platzt angesichts eines solchen Versagens der Kragen.
„Die Regierung schuldet den Betroffenen, den Mitarbeitern der Jobcenter und Arbeitsagenturen sowie den Ärztinnen und Ärzten eine fette Entschuldigung“,
Bundespräsident Steinmeier: Armut macht krank
Jedem anderen Betrieb wird es zugemutet
Jedem noch so kleinen Betrieb werde der elektronische Abruf der Daten zugetraut. Jobcenter und Arbeitsagenturen hingegen würden nicht dazu ermächtigt. Und da viele Ärzte nicht wüssten, dass sie die Bescheinigung für Bürgergeld Bedürftige kostenlos ausstellen müssen, komme es entweder zum Konflikt oder Betroffene zahlten die Gebühr aus eigener Tasche, um Ärger aus dem Weg zu gehen.
Zwar gehe es nur um fünf Euro, doch das sei symptomatisch dafür, wie man Bürgergeld Bedürftigen und Armutsbetroffenen „aus politischer Bequemlichkeit heraus“ das Leben noch schwerer mache.
Würde wird nicht geachtet
Zur Erinnerung: Der Koalitionsvertrag der Ampel ist mit „Mehr Fortschritt wagen“ überschrieben. Und im Kapitel zum Bürgergeld finden sich auch die Begriffe wie „digital“, „Augenhöhe“ und „Würde des und er Einzelnen achten“. Stattdessen überwiegt die Bürokratie und indem Betroffene beim Arzt auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Situation die Hose herunterlassen müssen, entfernt man sich ganz weit von Würde und Augenhöhe.
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