Zum Scheitern verurteilt oder doch eine echte Chance? Die Debatte zur Hartz IV Reform wird bislang auf den Regelsatz und Restriktionen in Form von Leistungskürzungen beschränkt. Dabei ist die größte Herausforderung auf dem Weg zum Bürgergeld völlig anders gelagert: Es geht um Respekt, den die Ampelkoalition mit Einführung des Bürgergelds verspricht. Wie das funktionieren soll, lässt man offen. „Nette“ Worte, mit denen der Regierungsentwurf zum Bürgergeldgesetz aufwartet, helfen jedenfalls nicht.
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Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Was die Entwürfe zum Bürgergeld präsentieren, ist ein romantisch-verklärtes Bild. Menschen, die sich heute nicht grün sind, sollen morgen gemeinsam freudestrahlend dem Sonnenuntergang entgegenreiten. Doch nur, weil auf dem Papier Augenhöhe und Respekt versprochen werden, herrscht künftig nicht automatisch Friede, Freude, Eierkuchen.
Vertrauensbeziehung schaffen
Davon scheinen SPD, Grüne und FDP jedoch auszugehen. Bereits im Koalitionsvertrag heißt es,
„dass künftig eine Beratung auf Augenhöhe möglich ist und eine Vertrauensbeziehung entstehen kann“.
An der Wortwahl hält man bis heute fest. Sie spiegelt sich auch im Referenten- und dem aktuellen Regierungsentwurf zum Bürgergeld wider.
Menschen ändern sich nicht von heute auf morgen
Das Problem: Während man Berechnungsmethoden und Sanktionen per Knopfdruck ändern kann, ist das bei Menschen nicht möglich. Jobcenter-Mitarbeiter, die sich heute schon bemühen, einen freundlichen Umgangston pflegen und Empathie beweisen, haben mit dem Bürgergeld mehr Möglichkeiten, zu helfen. Jene aber, die nur die Peitsche schwingen, auf Paragrafen reiten und sich auf ihre Kaffeepause beruhen, werden auch durch eine Hartz IV Reform nicht (sofort) zum Menschenfreund.
Schulungen sind (noch) nicht vorgesehen
Dass ein Umdenken möglich ist, steht außer Zweifel. Dafür bedarf es aber Input, etwa durch Schulungen und Seminare. Dazu findet man auf sgb2.info, dem Portal für die Jobcenter-Praxis, jedoch kein Wort. Auch hier wiederholt man lediglich das Versprechen: „Mehr Chancen. Mehr Respekt. Mehr Zusammenhalt.“
Zweifel in den Jobcentern
Würde die Regierung sich in den Jobcentern umhören, wüsste sie: Viele Mitarbeiter bezweifeln, dass ein Bürgergeld in der geplanten Form funktionieren kann. Das beweist der „Tag der kommunalen Jobcenter 2022“. Die 250 Vertreter machten dabei deutlich:
„Entgegen dem Ziel der Bundesregierung, die dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt stärker in den Mittelpunkt zu stellen, würden damit Anreize, das Leistungssystem zu verlassen, reduziert.“
Mitarbeiter sehen Bürgergeld als Herausforderung
Deutlich wurden diese Zweifel auch bei einer Veranstaltung des Jobcenters Bremen: „Unser Weg zum Bürgergeld“. Gefragt nach dem ersten Gedanken zur Hartz IV Reform in einem Wort, lagen die Begriffe „Herausforderung“, „ungerecht“, „schwierig“ ganz weit vorne. Das beweise, so Jobcenter-Geschäftsführer Thorsten Spinn, dass man auch herausfinden müsse, „welche Unterstützung und Begleitung Sie von uns benötigen“.
Wenn es jetzt schon Bedenken gibt und die Jobcenter befürchten, dass Bürgergeld Bedürftige sich nichts sagen lassen oder faul sind: Wie soll da ein respektvoller Umgang möglich sein?
Nicht genug Zeit für Betroffene
Und selbst wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter unvoreingenommen wären, sorgt der Staat mit dem Rotstift dafür, dass Respekt Wunschdenken bleibt. Denn für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe sollte man sich Zeit nehmen können, was aufgrund der dünnen Personaldecke leider nicht oder nur bedingt möglich ist.
Personal fällt Sparzwang zum Opfer
Zwar wird durch das Anheben der Bagatellgrenze auf 50 Euro, die Digitalisierung und die einfachere Überprüfung des Schonvermögens Zeit gespart. Ob das aber ausreicht, um sich in aller Ruhe um einen Hartz IV Bedürftigen zu kümmern, ist eher unwahrscheinlich. Die Ampel macht es sich da einfach. In den FAQ zum Bürgergeld auf sgb2.info heißt es:
„Grundvoraussetzung für eine hohe Qualität der gesamten Integrationsarbeit in den Jobcentern ist eine auskömmliche Personalausstattung. Das Bürgergeld-Gesetz hat hierauf keine unmittelbaren Auswirkungen. Dazu kommt, dass die Lage im Bundeshaushalt aktuell sehr angespannt ist und alle Einsparungen vornehmen müssen.“
Kurzum: Man wünscht sich Respekt, schafft dafür aber nicht einmal die nötigen Grundlagen.
Sanktionen widersprechen einem respektvollen Umgang
Stattdessen hält man daran fest, Menschen bestrafen zu dürfen. Dr. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband nennt es „Rohrstockpädagogik“. Dieser Aspekt des Bürgergelds, über den gerade sehr viel gestritten wird, die Sanktionen, steht jeder Zusammenarbeit auf Augenhöhe entgegen.
Bürgergeld-Sanktionen: Kürzungen von bis zu 30 Prozent
Beklemmung und Angst
Leistungskürzungen sorgen laut aktueller Studien für Angst und Beklemmung. Damit verschafft man sich seitens der Jobcenter vielleicht Respekt, schafft aber keine Vertrauensbeziehung, wie von der Regierung gewünscht und versprochen. Von daher weiß man in der Ampel offenbar selbst nicht, was man möchte.
Vorsorge für den Streitfall
Vor allem aber: Die Regierung ist sich durchaus bewusst, dass in den Jobcentern nicht alles „rund“ läuft. Warum sonst wohl hat man im Bürgergeldgesetz einen Schlichtungsmechanismus verankert. Der gilt aber nur „für Konfliktfälle im Zusammenhang mit dem Prozess der Erstellung, Durchführung und Fortschreibung der Inhalte eines Kooperationsplans“.
Sozialgerichte werden nicht arbeitslos
Ansonsten bleiben Betroffenen, wie schon im Hartz IV System, nur der Widerspruch und der Gang vor Gericht. Und nur weil die Bundesregierung es gerne so hätte, werden die Sozialgerichte auch durch das Bürgergeld nicht arbeitslos. Denn Sanktionen und Co. liegen nach wie vor im Ermessen der Jobcenter, konkret des zuständigen Mitarbeiters. Und wenn da erst einmal Porzellan zerbrochen ist, bleibt der Respekt auf der Strecke.
Regelsätze sind respektlos
Dass die Ampelkoalition Respekt aufseiten der Jobcenter und Hartz IV Bedürftigen einfordert, sich selbst aber nicht daran hält, macht die Sache nicht besser. Denn Respekt heißt auch, Betroffenen Teilhabe zu ermöglichen. Das ist weder mit dem Hartz IV noch mit dem Bürgergeld Regelsatz in Höhe von 502 Euro möglich. Insofern arbeitet man nicht auf Augenhöhe, sondern wie gehabt von oben herab. Und bezogen auf die Jobcenter: Aus einem Amtsschimmel macht man kein Therapiepferd.
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