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Bürgergeld deckt Kaufkraftverlust nicht und läuft Inflation hinterher

Frustrierte Frau mit leerem Portemmonaie

Verlierer im Wettlauf mit der Inflation sind, wen wundert´s: Bürgergeld Bedürftige. Die Erkenntnis ist wahrlich nicht neu und wurde in den vergangenen Jahren aus mehreren Blickwinkeln bereits mit Daten untermauert. Und völlig egal, wie man das Thema dreht und wendet: Hier geht es nicht um ein paar Cent beim Brot oder einen Euro beim Gemüse. In der Summe sind es hunderte Euro, mit denen die Inflation das Bürgergeld überholt hat.

Der Regelsatz basiert auf Regelbedarfen

Dass es sich dabei um Tatsachen handelt, die in den sozialen Netzwerken mit „mimimi“ und „denen geht es doch viel zu gut“ kommentiert werden, geht in der aktuellen Bürgergeld Debatte völlig unter. Kritiker übersehen gerne, dass die Regelsätze auf Regelbedarfen beruhen, die für verschiedene Bereiche vom Gesetzgeber definiert wurden und auf dem basieren, was man gemeinhin unter dem Existenzminimum versteht. Um bösen Zungen gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Bier und Zigaretten gehören nicht dazu. Für 2024 ergeben sich damit folgende Werte:

Anteil am Regelbedarfin % von der RLin € von der RL
Nahrung, alkoholfreie Getränke34,70%195,36 €
Freizeit, Unterhaltung, Kultur9,76%54,95 €
Post und Telekommunikation8,94%50,33 €
Bekleidung, Schuhe8,30%46,73 €
Wohnen, Energie, Wohninstandhaltung8,48%47,74 €
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände6,09%34,29 €
andere Waren und Dienstleistungen7,98%44,93 €
Verkehr8,97%50,50 €
Gesundheitspflege3,82%21,51 €
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen2,61%14,69 €
Bildung0,36%2,03 €
Gesamt100%563,00 €

Fortschreibung des regelbedarfsrelevanten Warenkorbs

Diese Regelbedarfe, die für Erwachsene, Kinder und Jugendliche unterschiedlich ausgeformt sind, ergeben einen regelbedarfsrelevanten Waren- und Dienstleistungskorb, dessen „Wert“ Jahr für Jahr fortgeschrieben wird. Zu Zeiten von Hartz IV in einem Schritt anhand der Preis- und Lohnentwicklung mit einer Gewichtung von 70:30. Berücksichtigt wurden die Daten vom 1. Juli des Vorvorjahres bis zum 30. Juni des Vorjahres im Vergleich zum davor liegenden Zwölfmonatszeitraum.

Aktuelle Teuerung berücksichtigen

Da die aktuelle Inflation dabei nicht berücksichtigt wurde, hat sich die Ampel auf eine zweite Stufe, die ergänzende Fortschreibung, geeinigt, die das Preisgefüge im Dreimonatszeitraum von April bis Juni des Vorjahres mit dem Vorvorjahr (für 2024 also 2022 zu 2023) in den Blick nimmt. Das heißt: Die so heftig diskutierte Anpassung der Bürgergeld Regelsätze ist nichts anderes als ein Spiegel der Inflation und keineswegs eine gönnerhafte Erhöhung, damit die soziale Hängematte bequemer wird.

Wie hoch müsste der Regelsatz sein?

Über die Problematik der Fortschreibung im Kontext der Inflation und der Regelbedarfe ist bereits viel diskutiert worden. Dabei wurden dann meist einzelne Aspekte wie Lebensmittel oder Strom in den Fokus gerückt, bei denen die Differenz besonders hoch ausfällt. Oder der Warenkorb wurde nach fairen Gesichtspunkten neu sortiert und darauf aufbauend der Regelsatz ermittelt, wie bei den Berechnungen des Paritätischen Gesamtverbandes. Auf Basis dieser Daten müsste ein Single mindestens 813 Euro im Monat erhalten.

Ein-zu-eins-Rechnung Bedarf und Inflation

Doch selbst wenn man weder Rosinen herauspickt noch den regelbedarfsrelevanten Korb verändert: Unter dem Strich leiden Bürgergeld Bedürftige unter einem enormen Kaufkraftverlust. Um das zu belegen, haben wir anhand der Inflationsdaten und der exakten Regelbedarfe gerechnet und eins zu eins den von der Regierung ermittelten Regelbedarf mit dem Regelbedarf entsprechend dem Verbraucherpreisindex gegenübergestellt – insgesamt wurden hierfür fast 2.000 Zahlen ausgerwertet, mit folgendem Ergebnis:

Bürgergeld Regelsatz im Verhältnis zum VPI 2018 bis 2023

Minus 211,96 Euro im Jahr 2023

Betrachtet man die beiden Kurven, überlappen sie meist nur kurz zum Jahreswechsel. In den Monaten davor liegt der Regelsatz fast ausschließlich unter dem Betrag, der ausgehend von der Inflation hätte gezahlt werden müssen.

Diese Diskrepanz wird umso deutlicher, wenn man die Zahlen Monat für Monat betrachtet. Im Jahr 2022 stand einem erwachsenen Alleinstehenden ein Regelbedarf von monatlich 449 Euro Hartz IV zu. Mit Inflation hätten es 454,72 Euro sein müssen. Macht 5,72 Euro, die fehlten. Diese Differenz wuchs kontinuierlich an, auf 55,51 Euro im Dezember. Das waren 12,4 Prozent des Regelsatzes! Aufs Jahr gerechnet, fehlten 2022 391,15 Euro. Abgefedert wurde die Inflation durch den im August gezahlten Sofortzuschlag von 200 Euro. Blieb unter dem Strich ein Kaufkraftverlust von 191,15 Euro. Im vergangenen Jahr sah es nicht besser aus: 6,75 Euro fehlten im Januar und 19,68 Euro im Dezember. Der Zwölfmonatswert: minus 211,96 Euro. Aus beiden Jahren summiert sich das Defizit auf 403,11 Euro nur auf den Regelbedarf bezogen, was bedeutet. dass Hilfebedürftige durch die Anpassung zum 01.01.2024 den Kaufkraftverlust für die vergangenen Jahre erst im August dieses Jahres ausgeglichen hätten.

Zu wenig Geld für Mehrbedarfe

Damit ist es aber noch nicht getan. Da sich Mehrbedarfe an der Entwicklung der Regelsätze orientieren, hat es auch in diesem Bereich – der nicht jeden Bürgergeldempfänger betrifft – inflationsbedingte Verluste gegeben. Insbesondere Bedürftige, die den Warmwasser Mehrbederf benötigen, da sie Warmwasser dezentral mit einem Boiler oder Durchlauferhitzer erwärmen, sind hierdruch doppelt gestraft, da insbesondere die Stromkosten massiv gestiegen sind. Erst mit der Anpassung zu Januar gab es eine kurze „Verschnaufpause“, ehe die Teuerung wieder gnadenlos zuschlug.

Mehr Geld – aber kein grüner Zweig

Nun darf man gespannt sein, wie sich die Kurve in diesem Jahr entwickelt. 563 Euro Bürgergeld Regelsatz für einen volljährigen Single stehen 522 Euro gegenüber. Dieses Plus wird sich im Laufe der Wochen minimieren und stellt letztendlich nichts anderes dar als eine „Nachzahlung“ dessen, was Betroffene in den vorigen Jahren nicht erhalten haben. Auf einen grünen Zweig kommt man damit trotzdem nicht.

Bild: favorita1987/ shutterstock