Die Anpassung der Bürgergeld Regelsätze war wichtig, bleibt aber weit hinter dem zurück, was für eine gesunde Ernährung nötig wäre. Diese Aussage stammt nicht etwa von Sozialverbänden. Nein, die offene Kritik am Bürgergeld findet sich in einer Studie, die eigens für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erstellt wurde. Darin setzt sich ein Expertengremium mit der „Ernährungsarmut unter Pandemiebedingungen“ auseinander und blickt dabei auch auf die aktuelle Situation von Bürgergeld Bedürftigen.
Problem wird in Deutschland vernachlässigt
Die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim BMEL von März 2023 umfasst 177 Seiten. Schon mit dem ersten Satz der Kurzzusammenfassung machen die Experten deutlich, dass hierzulande etwas gewaltig schiefläuft und ein enormer Verbesserungsbedarf besteht:
„Ernährungsarmut wird als Problem in Deutschland weitgehend vernachlässigt.“
Betroffene: drei Millionen Menschen (3,5 Prozent der Bevölkerung).
Essen hat auch eine soziale Funktion
Das spiegelt sich aus Sicht des Gremiums auch im Regelsatz wider. Mit dem Bürgergeld ließe sich weder eine gesunde Ernährung finanzieren, noch sei soziale Teilhabe möglich. Der Aspekt, dass Essen auch eine soziale Funktion habe, sei bei der Berechnung der Regelsätze gänzlich ausgeblendet worden.
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Café-Besuche sind nicht regelbedarfsrelevant
Abgedeckt werde vornehmlich die eigene häusliche Verpflegung. Ausgaben etwa für den Besuch von Restaurants oder Cafés würden indes nicht als regelbedarfsrelevant gelten und damit auch nicht als notwendig für die Gewährung eines soziokulturellen Existenzminimums erachtet. Bei der Berechnung der Bedarfe werde der außerhäusliche Bereich daher nur zu einem Drittel berücksichtigt. Stattdessen sollen Bürgergeld Bedürftige diesen Teil der Ernährung „durch häusliches Essen ersetzen“.
Ausschluss wirkt sich auf die Gesundheit aus
Damit würden Betroffene sozial ausgegrenzt. Welche Folgen das haben kann, sei durch die Pandemie deutlich geworden. Die Coronazeit habe unterstrichen, wie problematisch fehlende soziale Kontakte seien und wie sich der soziale Ausschluss auf die physische, psychische und soziale Gesundheit auswirke.
Herausforderung für Armutsbetroffene
Noch deutlicher fällt das Urteil zu den finanziellen Rahmenbedingungen beim Bürgergeld aus. Generell gelte:
„Für armutsgefährdete Menschen ist es schon in ‚normalen‘ Zeiten eine Herausforderung, sich gesundheitsfördernd zu ernähren.“
Ferner betonen die Experten, dass es kein individuelles Versagen sei, etwa hinsichtlich des Ernährungsverhaltens, dass armutsgefährdete Menschen weniger gesund seien.
Regelbedarf wird nicht aufgeschlüsselt
Bezogen auf den Bürgergeld Regelbedarf lobt das Gremium zwar, dass die Politik kurzfristig auf die Herausforderungen der Preissteigerungen reagiert habe. Wie genau das Bürgergeld aufgeschlüsselt sei, gerade bei Lebensmitteln, werde jedoch nicht veröffentlicht. Das erschwere die Diskussion um die Auskömmlichkeit.
Probleme sind seit Jahren bekannt
Der Beirat selbst steuert zur Debatte eine Reihe von Studien bei. Schon 2007 hätten Kersting und Clausen nachgewiesen, dass mit dem ALG-II-Regelsatz eine adäquate Ernährung für Kinder und Jugendliche nicht finanzierbar sei. Und 2021 belegten Kabisch und Kolleg:innen, dass die Kosten aller sieben untersuchten Ernährungsformen bei Kindern und Erwachsenen über den Regelsätzen lägen.
Mittagsverpflegung in Schulen
Wenn in dem Zusammenhang immer wieder auf die Mittagsverpflegung in Kitas und Schulen im Rahmen des BuT verwiesen werde, greife dies zu kurz. Denn längst nicht überall gebe es dieses Angebot. In dem Fall müssten die Kosten für die Mittagsmahlzeit aus dem Regelbedarf bestritten werden. Ohnehin habe diese Maßnahme auf Bundesebene keine besonders hohe Priorität.
Fazit: Regelbedarf ist nicht kostendeckend
Das Fazit zu den Regelbedarfen beim Bürgergeld: Sie entsprächen
„nicht den Kosten einer gesundheitsfördernden Ernährung“.
Die Fortschreibung der Regelsätze habe zwar zu höheren Regelbedarfen geführt. Diese gingen jedoch nur auf die Preissteigerungen zurück, nicht aber auf eine neue Berechnungsmethode.
Forderung nach neuer Methodik
Das Verhältnis von den Grundsicherungsleistungen zu den Kosten einer gesunden Ernährung habe sich dadurch nicht verändert. Daher bleibe es bei der Empfehlung, die schon im Jahr 2020 ausgesprochen worden sei: Die Berechnungsmethodik für die Bedarfsermittlung müsse so angepasst werden, dass eine gesundheitsfördernde Ernährung ermöglicht werde. Dazu zähle auch eine transparente Bedarfsermittlung.