Es rappelt im Karton, und das nicht zu knapp. Gleich in zwei Punkten gehen die Vorstellungen zur Hartz IV Nachfolge, dem Bürgergeld, innerhalb der Koalition weit auseinander. Das birgt gewaltigen Sprengstoff, gesellschaftlich und politisch. Denn mit dem Bürgergeld steht eines der Mammut-Projekte der Ampelkoalition zur Debatte, an das viele Betroffene große Hoffnungen geknüpft hatten. Sie dürften mal wieder enttäuscht werden.
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Würde des Einzelnen achten
Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages herrschte zwischen SPD, Grünen und FDP noch eitel Sonnenschein. Der Vertrag definiert die Hartz IV Nachfolge bereits in der Präambel:
„Wir lösen die Grundsicherung durch ein neues Bürgergeld ab, damit die Würde des Einzelnen geachtet und gesellschaftliche Teilhabe besser gefördert wird.“
Jetzt wird deutlich: Diese Aussage ist viel zu schwammig, als dass sie eine klare Richtung vorgibt. Hier hat man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt. Das große Ganze indes, wenn es darum geht, Nägel mit Köpfen zu machen, sorgt für reichlich Streit. Das gilt vor allem für die Bereiche Sanktionen und Leistungen.
Streitpunkt: sechsmonatige Vertrauenszeit
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat das Heft in der Hand genommen und den ersten Vorstoß gewagt. Seine Idee: Eine sechsmonatige Vertrauenszeit, in der keine Sanktionen verhängt werden. Nur, wer sich komplett verweigert, bekommt innerhalb dieses Zeitfensters den Rotstift zu spüren.
FDP: Sanktionen sind angemessen und nötig
An dieser Vertrauenszeit scheiden sich die Geister. Die FDP hält Sanktionen für „angemessen und nötig“. Denn Solidarität sei keine Einbahnstraße. Für viele Bürger sei es nicht nachvollziehbar, warum sie Hartz IV Bedürftige unterstützen sollen, die nicht einmal Termine wahrnehmen wollen.
Kein bedingungsloses Grundeinkommen
Gegenüber der Funke-Mediengruppe betonte Finanzminister Christian Lindner (FDP):
„Solidarität muss immer auch die Gegenleistung einbeziehen, die Hilfe der Gesellschaft nur so weit wie nötig in Anspruch zu nehmen.“
Das Bürgergeld sei kein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern soll als Aktivierung dienen.
Verkrampfter Kompromiss
Der Paritätische Wohlfahrtsverband kann sich weder mit den Vorstellungen der SPD, noch mit den Ansichten der FDP anfreunden. Sechs Monate auf Sanktionen zu verzichten, sei ein „verkrampft anmutender Kompromiss“ schreibt der Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.
Willkür stehen Tür und Tor offen
Dadurch, dass man lediglich auf überzogene Kürzungen verzichten wolle, öffne man der Willkür Tür und Tor. Das Fazit von Ulrich Schneider:
„Eine Hartz-IV-Reform, die […] nicht mit dem Sanktionsapparat brechen will, bleibt der misanthropischen Grundhaltung von Hartz IV verhaftet.“
Streitpunkt: Höhe der Leistungen
Der zweite Streitpunkt: die Leistungen. Hubertus Heil hat eine neue Berechnungsmethode versprochen, bei der 40 bis 50 Euro mehr herausspringen würden. Für die FDP undenkbar. Damit würden unkalkulierbare Kosten einhergehen. Gleichwohl möchte auch Christian Lindner, „dass sich die Lebenssituation der Bezieher des Bürgergelds gegenüber Hartz IV verbessere“.
Arbeit attraktiver machen
Allerdings soll sich die Situation nicht durch mehr Leistung bessern, sondern dadurch, dass die Aufnahme einer Arbeit attraktiver werde. Damit zolle man den Menschen Respekt, die einen Minijob annehmen oder in Teilzeit arbeiten.
Fördern und Fordern
Dass dies funktioniert, daran zweifelt die CDU. Deren Chef Friedrich Merz machte deutlich, er sei „sehr gespannt, ob es überhaupt noch irgendwelche Anreize gibt, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren“. Auch seine Parteikollegen sprechen sich dafür aus, das Fördern und Fordern beizubehalten.
Kann das Bürgergeld Armut verhindern?
Dem kann sich Ulrich Schneider nicht anschließen. Für ihn lautet die Gretchenfrage: „Wird das Bürgergeld Armut verhindern?“ Dazu müsste die Koalition den Willen aufbringen, die Regelsätze dermaßen anzuheben, dass sie das Existenzminimum und die Teilhabe sicherstellen.
687 Euro Hartz IV Regelsatz bei ehrlicher Berechnung
Hartz IV wurde kleingerechnet
Die aktuellen Hartz IV Leistungen seien seit der Einführung bewusst kleingerechnet und nach unten manipuliert worden. Wissenschaft und Verbände hätten Berechnungen angestellt, wonach Hartz IV und das künftige Bürgergeld bei 600 bis 700 Euro liegen müssten.
„Das wird die Latte sein, über die ein jedes Bürgergeld springen muss, das seinen Namen verdient haben will“,
so Ulrich Schneider.
Einigung auf Kosten Betroffener?
Da sowohl bei den Sanktionen als auch bei den Leistungen bereits jetzt mehrere Positionen im Raum stehen, wird das Projekt Bürgergeld zur Zerreißprobe. Entweder bleibt der politische Friede in der Koalition auf der Strecke oder man einigt sich auf Kosten der Hartz IV Bedürftigen.
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