Bürgergeld-Empfänger haben laut Urteil des Landessozialgerichts Sachsen Anspruch auf die Übernahme von Fahrtkosten zu einer ambulanten Therapie, sofern diese als Mehrbedarf anerkannt werden. In einem konkreten Fall entschied das Gericht, dass das Jobcenter für die regelmäßigen Fahrten zum Psychotherapeuten aufkommen muss, da die entstehenden Kosten den im Regelsatz vorgesehenen Betrag für Verkehr deutlich überstiegen (Az.: L 7 AS 83/17).
190 Euro Fahrtkosten im Monat
Hintergrund des Urteils war die Klage einer Bürgergeld-Empfängerin aus dem Raum Dresden und ihres Sohnes. Nach dem Tod ihres Ehemannes waren sowohl die Frau als auch ihr Sohn auf dauerhafte psychotherapeutische Hilfe angewiesen. Zur Bewältigung ihrer Probleme sollte die Frau zweimal die Woche einen Therapeuten aufsuchen; für ihren Sohn sei eine wöchentliche Therapiestunde ausreichend, wohin sie ihn jedoch begleiten müsse, da er die Strecke nicht allein bewältigen konnte.
Mit Bürgergeld kein Anspruch auf Wunschmedizin
Die insgesamt drei wöchentlichen Termine waren mit Fahrkosten in Höhe von monatlich rund 190 Euro verbunden – eine Summe, die die Leistungsempfängerin vom Regelsatz allein nicht zahlen konnte. Sie stellte daher am 25.07.2014 einen Antrag auf Mehrbedarf beim zuständigen Jobcenter. In ihrem Antrag und später im Klageverfahren gab sie an, bereits monatlich 80 Euro für eine Monatskarte aus ihrem Regelsatz aufzuwenden, was den im Regelsatz vorgesehenen Betrag für Verkehrskosten erheblich überstieg. Das Jobcenter lehnte den Antrag jedoch am 31.07.2014 ab und argumentierte, die Fahrtkosten müssten von den Regelleistungen gedeckt werden.
Frau zieht vor Gericht
Diesen Beschluss wollte die Frau jedoch so nicht akzeptieren und argumentierte in ihrem Widerspruch vom 11.08.2014, dass die zusätzliche monatliche Belastung eine außergewöhnliche Härte darstelle und als solche nicht mit normalen Arztterminen vergleichbar sei. Das Jobcenter wies die Forderung der Klägerin mit der Begründung zurück, sie könne einen Therapeuten in der Nähe aufsuchen. Die Klägerin führte jedoch an, dass sie in ihrem Wohnumfeld keinen Therapeuten gefunden hatte, der sie ohne lange Wartezeiten hätte behandeln können. Daher war es unabdingbar, regelmäßig weite Strecken auf sich zu nehmen. Als das Jobcenter auch den Widerspruch zurückwies, zog die Leistungsempfängerin vor das Sozialgericht Dresden. Dieses entschied am 12.12.2016 in erster Instanz zugunsten der Klägerin und erkannte ihren Anspruch auf Mehrbedarf an. Das Jobcenter akzeptierte das Urteil des Sozialgerichts jedoch nicht und legte Berufung beim Landessozialgericht Sachsen ein.
Bürgergeld Mehrbedarf für Fahrtkosten zum Umgangsrecht
LSG Sachsen urteilt im Sinne der Klägerin
Doch auch in der zweiten Instanz hatte die Klägerin Erfolg: Das Landessozialgericht Sachsen entschied am 05.11.2020 erneut zugunsten der Klägerin und bestätigte ihren Anspruch auf Mehrbedarf. Das Gericht stellte fest, dass in diesem speziellen Fall die Fahrtkosten zur Therapie als unabweisbarer Bedarf gelten, da nahegelegene Therapiemöglichkeiten nicht zur Verfügung standen und die Kosten den im Regelsatz vorgesehenen Betrag für Verkehr deutlich überschritten.
In der Regel haben Bürgergeld-Bedürftige zwar einen Anspruch auf Fahrtkostenübernahme durch die Krankenversicherung, sofern die Behandlung als medizinisch notwendig erachtet wird und keine Behandlungsmöglichkeit im näheren Umkreis besteht. Da in diesem Fall jedoch keine medizinische Indikation für eine Kostenübernahme durch die Krankenversicherung vorlag, musste das Jobcenter für die Fahrtkosten aufkommen.
Laut Urteil des LSG müsse das Jobcenter angesichts der laufenden und unabweisbaren Natur des Bedarfs einen Mehrbedarf gemäß § 21 SGB II bewilligen. Auch die Begleitung des Sohnes zur Therapie, die aufgrund seines Alters (2002 geboren) notwendig war, wurde vom Gericht als unabweisbar anerkannt. Die Kosten für drei wöchentliche Fahrten überstiegen den Regelsatz erheblich und konnten nicht aus Einsparungen getragen werden.
Jobcenter muss Fahrtkosten nicht immer zahlen
Es gibt jedoch auch Fälle, in denen das Jobcenter nicht zur Übernahme von Fahrtkosten verpflichtet ist. So entschied das Sozialgericht Karlsruhe in einem anderen Fall, dass die Fahrtkosten zur Psychotherapie keinen Mehrbedarf darstellten, da keine „atypische Bedarfslage“ vorlag (Beschluss vom 14.02.2018, Az.: S 11 AS 3439/16). In diesem Fall war die Erkrankung der Frau nach Auffassung der Krankenkasse nicht schwerwiegend genug, um die Kostenübernahme zu rechtfertigen, und das Jobcenter sah keinen „unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts“. Zudem hatte die Klägerin nicht alle Möglichkeiten der Kostenerstattung durch die Krankenkasse ausgeschöpft. Dieses Urteil zeigt, dass die Übernahme von Fahrtkosten durch das Jobcenter immer von den individuellen Umständen abhängt.
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