Über 20 Prozent Teuerung bei Lebensmitteln, in der Folge völlig überlaufene Tafeln, und die Regierung schweigt das Problem einfach weg. Die „taz“ hat jetzt aufgedeckt, wie sechs Ministerien so lange an einer Antwort zum Thema Ernährungsarmut feilten, bis man Bürgergeld-Empfängern und Haushalten mit geringen Einkommen die Schuld in die Schuhe schiebt. Sie würden falsch wirtschaften und hätten nicht die nötige Ernährungskompetenz.
Hunger in Deutschland
„Armutsbedingte Mangelernährung und Hunger“ mitten in Deutschland hatte der Wissenschaftliche Beirat des Bundesernährungsministeriums (BMEL) bereits 2020 attestiert – noch lange, bevor die Inflation zuschlug. Eines der Probleme: Die Regelsätze, früher bei Hartz IV, jetzt beim Bürgergeld, sind zu knapp bemessen. Das bestätigen inzwischen mehrere Studien und wissenschaftliche Berechnungen.
Bis zu 50 Prozent Unterdeckung
Die jüngsten Daten stammen von der Diakonie. Demnach sei es mit dem Bürgergeld nicht möglich, entsprechend den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu kochen. Ähnliche Ergebnisse präsentierten auch die Charité sowie die Unis in Bonn und Potsdam. Sie sehen, je nach Altersgruppe, eine Unterdeckung bei der Grundsicherung von bis zu 50 Prozent.
Regierung: Bedürftige kaufen falsch ein
Parlamentarische Anfrage der Linken
Diese Daten haben die Linksfraktion veranlasst, eine parlamentarische Anfrage zu stellen, was die Bundesregierung gegen Ernährungsarmut unternehme. In diese Anfrage sind schließlich sechs Ministerien involviert, die sich in über 50 E-Mails mit Textentwürfen und Kommentaren zum Thema austauschen. Diese Korrespondenz liegt der „taz“ vor. Sie lässt tief blicken und beweist: Über Probleme spricht man nicht.
Über 50 E-Mails und Entwürfe
Die Fragen nach Ernährungsarmut, Hartz IV und dem Bürgergeld werden wie beim Pingpong hin und her gespielt. Das Gesundheits- und auch das Forschungsministerium haben keine Daten. Dieser Hinweis soll aber gestrichen werden, weil damit deutlich würde, dass man das Problem ignoriere.
Streit um die Formulierung
Das Familienministerium verweist auf die Schulverpflegung, muss aber auch einen Rückzieher machen, weil nicht überall gesunde Ernährung auf dem Speiseplan steht. Und auch die Option, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu senken, geht auf Intervention des Finanzministeriums unter.
Besonders kritisch zeigt sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Hier wird Ernährungsarmut nicht als politisches Problem, sondern als Versagen der Betroffenen dargestellt. Es mangele am Wissen über Nahrungsmittel und deren Zubereitung. Diese Aussage wird dann glattgebügelt.
Verschwenden Haushalte Lebensmittel?
Es mangelt an Ernährungskompetenz
In der Antwort heißt es schließlich, eine gesunderhaltende Ernährung sei auch mit wenig Geld möglich, vorausgesetzt man bemühe sich um einen „informierten, preisbewussten Einkauf“. Konkret:
„Eine gesunde Ernährung ist nicht allein von der Höhe des monatlich zur Verfügung stehenden Budgets abhängig, sondern auch davon, wie damit gewirtschaftet wird. Hierfür ist die Ernährungskompetenz entscheidend.“
Als Beleg dafür wird das Gutachten des Beirats genannt. Der lässt sich das nicht gefallen und betont, das Gutachten werde nicht korrekt wiedergegeben. Was folgte, war eine Entschuldigung. Das ändert jedoch nichts daran, dass man die Unwahrheit publiziert hat und eine Korrektur für nicht nötig hält.