Wann ist Schicht im Schacht? Selbst bei günstigen Lebensmitteln bleibt sehr viel vom Monat übrig, während das Bürgergeld schon aufgebraucht ist. Möchte man überdies gesund essen und den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung folgen, sind Kühlschrank und Portemonnaie bereits nach einem halben Monat leer. Das ist das traurige Ergebnis eines Tests, den eine Bürgergeld Bedürftige gemeinsam mit dem Norddeutschen Rundfunk durchgeführt hat.
Test unter realen Bedingungen
Normalerweise geht Gaby Hansen zur Tafel und ist bemüht, so günstig wie möglich einzukaufen. Sie nutzt Sonderangebote und achtet sehr genau auf den Preis – weiß also, wie der Hase läuft. Auch im Rahmen des Experiments hat sie nicht in Feinkostgeschäften geshoppt, sondern wie gewohnt im Discounter und im Supermarkt. Basis: Eine Ernährung mit viel Gemüse, wie es die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt. Für den Versuch hat sie jeden Cent dokumentiert. Kostenlose Angebote von der Tafel waren während dieser Zeit tabu.
Berechnungen der Charité
Auch bei der Charité hat man sich Gedanken zur Grundsicherung und gesunder Ernährung gemacht. Gleich fünf Ernährungsweisen wurden mit Blick auf den Hartz IV Regelsatz für eine erwachsene Person, in dem monatlich 155,82 Euro für Nahrung und Getränke im Jahr 2022 vorgesehen waren, unter die Lupe genommen. Alle
- fettarme Ernährung mit viel Vollkornprodukten
- kohlenhydratearme Kost mit hochwertigen Ölen und Nüssen
- vegetarische Kost
- vergane Kost
- mediterrane Diät mit Olivenölen und Fisch
Alle untersuchten Ernährungsformen haben gemeinsam, dass sie viel Obst und Gemüse enthalten.
Keines dieser Ernährungsmuster ließ sich mit dem Bürgergeld realisieren. Am teuersten war der Studie zu Folge die mediterrane Diät, gefolgt von der kohlenhydratearmen Ernährung. Hierbei wird sehr deutlich, dass wenn man auf kohlenhydratearme Kost setzt, damit auch die preiswerten Kohlenhydrate, wie bspw. Nudeln, bei der Ernährung reduziert werden mit der Folge, dass die Kosten für eine gesündere Ernährung automatisch steigen.
Dr. med. Stefan Kabisch von der Charité betont angesichts des Ergebnisses: Der Regelsatz sei seit Veröffentlichung der Studie zwar um 18 Euro auf 174,19 Euro bei der Einführung des Bürgergeldes zum 01.01.2023 angepasst worden, die Inflation, gerade bei gesunden Lebensmitteln, jedoch weitaus „steiler“. Daher sei es für Betroffene eher schlimmer geworden.
100 Euro mehr für Lebensmittel – mit Bürgergeld unmöglich
Expertin spricht von Ernährungsarmut
Die Agrarwissenschaftlerin Professorin Regina Birner, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, spricht im „Markt“-Beitrag des NDR angesichts der Probleme von Bürgergeld Bedürftigen, Rentnern und Familien mit geringem Einkommen offen von Ernährungsarmut. Davon wolle die Bundesregierung jedoch nichts wissen, heißt es in der Sendung.
Staat empfiehlt preisbewussten Einkauf
Stattdessen machten die Behörden darauf aufmerksam, dass mit
„preisbewusstem Einkauf eine gesundheitsfördernde Ernährung auch mit stark begrenzten Einkommensressourcen möglich“
sei. Dem widersprechen der Wissenschaftliche Beirat, die Verbraucherzentralen und ganz gewiss alle Betroffenen.
Problem wird auf die Tafeln geschoben
Und weil der Staat keinen Handlungsbedarf sieht, wird das Problem auf die Tafeln abgewälzt. Jobcenter und Gemeindeverwaltung führten ihnen die Kunden zu, erklärt Rainer Demuth von der Trittauer Tafel. Dabei sei, betont Professorin Regina Birner, der Staat in der Pflicht, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Und dazu gehöre in erster Linie, dass man sich so ernähren könne, dass man nicht krank werde, dass man sich gesundheitsfördernd ernähren könne.
„Das kann der Staat nicht an Tafeln oder andere Organisationen abschieben“,
betont die Expertin.
Fehlernährung wird zur Belastung für den Staat
Da gesunde Ernährung mit dem Bürgergeld, knappen Renten und geringen Einkommen kaum möglich ist, sehen Mediziner für die kommenden Jahre einen „Rattenschwanz“ an Problemen wie Adipositas und Typ 2 Diabetes. Die drohenden Belastungen für den Sozialstaat seien immens. Um das zu vermeiden, rät der Wissenschaftliche Beirat zu einer Erhöhung der Bürgergeld Regelsätze. Dafür fühlt sich nur leider niemand verantwortlich.
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Leerer Kühlschrank nach einem halben Monat
Das Experiment des NDR hat letztlich zutage gebracht, was jeder Betroffene kennt: Nach nicht einmal der Hälfte des Monats war der Bürgergeld Regelbedarf aufgebraucht – ohne Luxus oder Schnickschnack, sondern einfach nur für gesunde Lebensmittel.
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