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Bürgergeld Rückforderung gekippt – Jobcenter scheitert vor Gericht

Auch Jobcenter müssen korrekt arbeiten – besonders dann, wenn sie Bürgergeld zurückfordern. Entscheidet eine Behörde nur nach Aktenlage, ohne sich intensiv mit einem Fall zu befassen, mit Betroffenen zu sprechen oder generell nachzuhaken, gibt es eine Klatsche vor Gericht. So geschehen am Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, das die Ersatzansprüche des Jobcenters gegen einen Bürgergeld Bedürftigen ablehnte, weil die Mitarbeiter bei der Ermittlung der Umstände des Einzelfalls geschlampt hatten (Aktenzeichen L 4 AS 24/23 vom 2. Oktober 2024).

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Sperrzeit und Leistungskürzung

Der Fall ist ein Musterbeispiel dafür, wie Jobcenter versuchen, sich die Arbeit so einfach wie möglich zu machen. Ein 49-Jähriger mit russischen Wurzeln hatte im Juni 2016 Hartz IV (heute Bürgergeld) beantragt, weil er seinen Job verloren hatte und beim Arbeitslosengeld I eine Sperrzeit verhängt worden war. Das Jobcenter selbst bewilligte zwar Leistungen für die fünfköpfige Familie (die Frau ist krank), verhängte mit Bescheid vom 4. August 2016 aber eine 30-prozentige Leistungskürzung, weil die Sperrzeit durch Arbeitsaufgabe verursacht worden war.

Vorwurf des sozialwidrigen Verhaltens

Später folgte der Hinweis, dass aufgrund von sozialwidrigem Verhalten Ersatzansprüche geltend gemacht werden können. Schließlich habe der Mann den Job durch eine besonders schwerwiegende Verletzung seiner Sorgfaltspflichten verloren. Konkret hatte der Bürgergeld Bedürftige Diesel gestohlen, woraufhin eine außergerichtliche Abwicklungsvereinbarung mit Lohnverzicht für zwei Monate geschlossen worden war. Darauf nahm das Jobcenter Bezug und forderte zunächst 9.654,71 Euro, später dann „nur“ noch 8.779,33 Euro zurück.

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Landessozialgericht widerspricht

Der Bürgergeld Bedürftige legte Widerspruch ein. Ohne Erfolg. Er scheiterte auch mit der Klage vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau (Aktenzeichen S 4 AS 550/19 vom 14. Dezember 2022). Erst das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt schaute etwas genauer auf den Fall. Selbst wenn man unterstelle, dem Mann sei bewusst gewesen, dass er durch sein Verhalten das Einkommen verliert, könne „auf der Wertungsebene die Sozialwidrigkeit des Verhaltens“ nicht festgestellt werden. Dazu hätten der Sachverhalt und die Motivationslage des Bürgergeld Bedürftigen aufgeklärt werden müssen.

Jobcenter hat nicht ermittelt

Seitens des Jobcenters sei eben nicht ermittelt worden, welches konkrete Fehlverhalten Anlass für die ordentliche Kündigung war. Stattdessen berufe man sich ausschließlich auf die Abwicklungsvereinbarung und unterstelle aufgrund dieses Schreibens ein erhebliches strafbares und daher sozialwidriges Verhalten des Mannes. Aber, betonte das Landessozialgericht: Nicht jedes strafbare Verhalten sei auch sozialwidrig und rechtfertige eine Rückforderung nach §34 SGB II.

Keine Tatsachen, nur Annahmen

Entscheidend für die Urteilsfindung war, dass es sich seitens des Jobcenters nur um Annahmen und nicht um feststehende Tatsachen handelte. Der Kläger habe sich nicht zu seinem Fehlverhalten geäußert. Und aus der Vereinbarung ergebe sich lediglich, dass der Arbeitgeber der Auffassung sei, der Kläger habe einen Schaden verursacht. Sich wie das Jobcenter darauf zu berufen, mit der Unterschrift auf der Vereinbarung habe der Mann diese Vorwürfe eingeräumt, reiche nicht aus. „Dieser Schluss erscheint dem Senat aufgrund der unzureichenden Tatsachenfeststellung zumindest nicht zwingend und sogar fraglich“, heißt es in der Urteilsbegründung.

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Fehlende Anstrengungen der Behörde

Das Landessozialgericht ging davon aus, dass bei einem erheblichen Schaden statt einer ordentlichen eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen worden wäre. Daher hätte man überprüfen müssen, ob es nicht andere Gründe dafür gegeben habe, dass der Bürgergeld Bedürftige der Vereinbarung zustimmte. Unter dem Strich hieß das: Die Ermittlungen des Jobcenters reichten nicht aus, das Verhalten als sozialwidrig zu bewerten. Es seien keine hinreichenden Anstrengungen unternommen worden, die Motivation des Klägers zu ermitteln, mit dem Arbeitgeber zu sprechen oder im persönlichen Gespräch den Sachverhalt zu klären. Das wäre bei einem Nicht-Muttersprachler sinnvoller gewesen als ein zweiseitiges Behördenschreiben.

Titelbild: Andrey_Popov / shutterstock