Der Bundestag hat gestern (19. Mai 2022) zugestimmt, die meisten Hartz IV Sanktionen auszusetzen – diese Regelung soll für ein Jahr ab Inkrafttreten der Gesetzesänderung gelten. Wie es danach weitergeht, richtet sich unter anderem nach den Erfahrungen aus der Zeit des Sanktionsmoratoriums. Denn die Pause ist nicht gleichbedeutend mit einem Ende der Leistungskürzungen für Hartz IV Bedürftige. Sie sollen künftig wieder mit Abzügen von bis zu 30 Prozent „bestraft“ werden dürfen.
Wiederholte Meldeversäumnisse werden geahndet
Geeinigt hat man sich mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP – die Linke hat sich enthalten – darauf, „dass Leistungen erst nach einem wiederholten Meldeversäumnis zu mindern sind“. Ein wiederholtes Meldeversäumnis liege vor, wenn das vorangegangene Meldeversäumnis weniger als ein Jahr zurückliegt. Die Hartz IV Leistungen werden in dem Fall um 10 Prozent gekürzt. Eine Nachsanktionierung nach dem Moratorium wird ausgeschlossen.
Meldeversäumnisse machen Großteil der Sanktionen aus
Aus der Grafik wird deutlich, dass nur ein kleiner Teil der Hartz IV Sanktionen vom Sanktionsmoratorium umfasst werden, denn im Durchschnitt der letzten zehn Jahre lag der Anteil der Sanktionen bei Meldeversäumnissen an allen Sanktionen bei 71,5 Prozent. Ebenso ist ein deutlicher Anstieg der Ahndungen bei Meldeversäumnissen zu erkennen, wobei die Jahre 2020 und 2021 aufgrund der Corona-Krise und dem damit verbundenen allgemeinen Rückgang der Sanktionen den Durchschnittswert senken.
Anteil Sanktionen Meldeversäumnisse an allen Hartz IV Leistungskürzungen
’11 | ’12 | ’13 | ’14 | ’15 | ’16 | ’17 | ’18 | ’19 | ’20 | 2021 | |
64% | 68% | 72% | 74% | 76% | 76% | 77% | 77% | 77% | 74% | 52% |
Die Linke wollte Sanktionen ganz abschaffen
Wäre es nach der Fraktion Die Linke gegangen, hätte man die Sanktionen komplett gestrichen. Begründung:
„Alle Sanktionen schmälern das Existenzminimum, verletzen so den Bedarfsdeckungsgrundsatz und sind kontraproduktiv für die Vermittlung in gute, nachhaltige Arbeit.“
Der Antrag wurde jedoch im Ausschuss für Arbeit und Soziales mehrheitlich abgelehnt.
Sanktionen sollen neu überdacht werden
Insofern handelt es sich beim Sanktionsmoratorium nur um eine vorübergehende Lösung, auch um dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (Az. 1 BvL 7/16) aus dem Jahr 2019 gerecht zu werden. Die Zeit wird genutzt, um wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen in ein neues Konzept für das Bürgergeld einbeziehen zu können.
Demnächst wieder bis zu 30 Prozent Kürzung
Dann wird es auch wieder höhere Leistungskürzungen für Hartz IV Bedürftige geben.
„Die Neuregelung soll beinhalten, dass Leistungsminderungen bis zu 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs möglich sind.“
Darauf hatte unter anderem die FDP bestanden. Das belegt die Debatte zum Sanktionsmoratorium.
Bürgergeld: Arbeitsminister will Gesetzesentwurf zum Hartz IV Ersatz im Sommer vorlegen
Das sagen die Parteien
- SPD erhofft sich von der Sanktionspause „Respekt, die Stärkung des Vertrauens in den Sozialstaat und eine neue Vertrauenskultur“. Damit sei es möglich, die Hartz IV Reform ordentlich vorzubereiten.
- CDU wiederum sieht keinen Grund für eine Reform. Vielmehr seien Sanktionen für die Arbeit der Jobcenter nötig. Außerdem sei es unlogisch, die Sanktionen zu pausieren, um sie dann wieder einzuführen. Das ließe sich nur schwer vermitteln. Sinnvoller sei es, bei der Hilfe anzusetzen statt bei den Strafen.
- Die Grünen möchten die Zeit nutzen, um zu evaluieren, wie eine Sozialpolitik ohne Sanktionen aussehen kann. Dies sei ein wichtiger Schritt in Richtung Bürgergeld.
- FDP betont, dass es sich nicht um Sanktionsfreiheit handle, sondern um eine Brücke zum Bürgergeld und der geplanten Teilhabevereinbarung als Ersatz für die Eingliederungsvereinbarung. Hervorgehoben wird, dass später auch weiterhin Leistungskürzungen bis zu 30 Prozent möglich seien.
- AfD befürchtet eine absolute Sanktionsfreiheit durch die Hintertür und eine Überlastung des Sozialsystems.
Die Linke hätte sich, wie bereits erwähnt, ein sofortiges Ende aller Sanktionen gewünscht, weil Strafen Hartz IV bedürftige lediglich in prekäre Beschäftigungen drängen, statt existenzsichernde Arbeit zu fördern.
Link zum Bundestag: https://dserver.bundestag.de/btd/20/018/2001881.pdf
Bild: Olivier Le Moal/ shgutterstock