Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss entschieden, dass nicht nur Bürgergeld-Bezieher (früher als Arbeitslosengeld II oder Hartz IV bekannt), sondern auch die Jobcenter sich an festgelegte Fristen halten müssen. Bei Nichteinhaltung dieser Fristen ist eine Untätigkeitsklage „grundsätzlich nicht treuwidrig“ (Az.: 1 BvR 311/22).
Hintergrund des Fall
Eine Klägerin aus Südhessen und ihre zwei Kinder, die Grundsicherungsleistungen bezogen, waren vom Jobcenter mit einem zu hohen Einkommen von 1.400 Euro statt 907 Euro bewertet worden. Nachdem sie erfolgreich Widerspruch eingelegt hatte, korrigierte das Jobcenter den Fehler und versprach, die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu übernehmen. Doch trotz eines eingereichten Kostenfestsetzungsantrags durch den Anwalt der Klägerin blieb eine Reaktion des Jobcenters aus. Nach Ablauf der sechsmonatigen „Wartefrist“ reichte der Anwalt daher eine Untätigkeitsklage ein.
Streit um Verfahrenskosten
Obwohl das Jobcenter nach der Klageerhebung reagierte und die geforderten Kosten beglich, entstand erneut ein Streit – diesmal über die Verfahrenskosten für die Untätigkeitsklage. Das Sozialgericht Darmstadt entschied, dass die Klägerin die Kosten tragen müsse, da sie und ihr Anwalt „mutwillig“ gehandelt hätten. Sie hätten vor der Klageerhebung beim Jobcenter nachfragen müssen.
Entscheidung des Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht hob die Entscheidung des Sozialgerichts Darmstadt auf und betonte, dass es keine gesetzliche Pflicht gibt, die Behörde nach Ablauf der gesetzlichen Wartefrist auf eine ausstehende Entscheidung hinzuweisen. Es wurde klargestellt, dass Betroffene, die nach Ablauf dieser Fristen klagen, „grundsätzlich nicht treuwidrig“ handeln.
Die Karlsruher Richter wiesen darauf hin, dass die Entscheidungsfrist für das Jobcenter abgelaufen war und die Untätigkeitsklage daher „zulässig und begründet“ war. Eine generelle Pflicht, die Behörde auf den Fristablauf hinzuweisen, existiert nicht.
Verstoß gegen das Willkürverbot
Die Verfassungsbeschwerde der Klägerin hatte Erfolg, da das Bundesverfassungsgericht feststellte, dass die Entscheidung des Sozialgerichts gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstieß. Das Gericht konnte keine allgemeine Pflicht aus dem geltenden Recht ableiten, wonach ein anwaltlich vertretener Leistungsempfänger sich vor Erhebung einer Untätigkeitsklage erneut an den Leistungsträger wenden müsse.
Ausblick
Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Entscheidung die Rechte von Bürgergeld-Beziehern gestärkt und klargestellt, dass auch Behörden sich an gesetzliche Fristen halten müssen. Das Sozialgericht Darmstadt muss nun erneut über die Erstattung der Kosten entscheiden und dabei die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigen.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. März 2023, 1 BvR 311/22.
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